Die Königin auf dem Schachbrett

Netflix haut weiterhin eine Menge Serien raus, die meisten davon finde ich gar nicht mal so gut. Ab und zu macht der Algorithmus aber doch brauchbare Vorschläge, etwa, als Netflix meinte, dass mir Das Damengambit (The Queen’s Gambit) gefallen könnte. Diese siebenteilige Miniserie ist tatsächlich eine der besten Serien, die ich in diesem Jahr gesehen habe. Dabei war ich ziemlich skeptisch, denn Schach interessiert mich überhaupt nicht. Nicht, dass ich Brettspiele an sich nicht mag, aber Schach fand ich immer zu streng, zu steif, zu wenig Spaß. Elizabeth „Beth“ Harmon (Anya Taylor-Joy) beim Schachspielen zuzusehen hingegen macht erstaunlich viel Spaß, auch wenn die Serie meine sämtlichen Vorurteile über das Schachspiel bestätigt.

Beth Harmon (Anya Taylor-Joy) im Duell gegen Vasily Borgov (Marcin Dorociński) Bild: Netflix.com

Beth ist eine ungewöhnliche Protagonistin für eine solche Serie und genau das ist der Clou, es ist einfach herrlich, wie dieses unerschrockene Mädchen die männlich dominierte Schachwelt aufrollt. Ihren Aufstieg zu verfolgen, ist ein mitunter etwas zwiespältiges, aber alles in allem großes Vergnügen. Ich muss zugeben, dass das Produktionsdesign dabei eine große Rolle gespielt hat. Nicht nur, weil ich ein ausgesprochener 60er-Jahre-Fan bin. Das war nun mal die letzte Epoche, in der Eleganz bei Kleidung und Einrichtung eine tragende Rolle gespielt hat. Sondern auch, weil die Serie zum Teil in und um Berlin gedreht wurde. Obwohl sie eigentlich in Kentucky spielt. Aber der Friedrichstadtpalast ist eine tolle Kulisse für ein Luxushotel in Mexiko und Ostberlin eignet sich sehr gut, um ein sowjetisches Moskau darzustellen. Denn die Großmeister des Schachs sind selbstverständlich Russen, und Beth ist fest entschlossen, in deren Liga mitzuspielen.

THE QUEENÕS GAMBIT (L to R) MARCIN DOROCINSKI as VASILY BORGOV in episode 104 of THE QUEENÕS GAMBIT Cr. PHIL BRAY/NETFLIX © 2020

Beth wächst in den 50er Jahren in einem Waisenhaus in Kentucky auf, nachdem ihre Mutter sich mit einem vor ihr absichtlich herbeigeführten Autounfall umgebracht hat. Wie durch ein Wunder überlebte Beth fast unverletzt. Im Waisenhaus werden die Kinder mit Medikamenten ruhig gestellt, was bei Beth zu einer entsprechenden Suchterkrankung führt. Dieser Umstand beflügelt ihr Talent für Schach, weil sie im Rausch an der Zimmerdecke ein Schachbrett imaginiert, auf dem sie stets die Kontrolle behält. Andererseits führt ihre Sucht zu selbstzerstörerischem Verhalten. Beth erlangt die Aufmerksamkeit des Hausmeisters Mr. Shaibel (Bill Camp), der sie in die Welt des Schachspiels einführt. Von der Ernsthaftigkeit der Kleinen beeindruckt, bringt er ihr nach und nach alles bei, was er selbst über das Spiel weiß und stellt einen Kontakt zum lokalen Schachklub her. Dort spielt Beth simultan gegen eine Auswahl der Besten und gewinnt sämtliche Partien.

Beth wird trotz ihrer dreizehn Jahre schließlich adoptiert. Schnell stellt sich heraus, dass ihre Adoptiveltern nicht das beste Verhältnis zueinander haben. Beth kann ihre unter dem Desinteresse ihres Mannes leidende Adoptivmutter davon überzeugen, dass sie mit Schach möglicherweise genug Geld für eine auskömmliche Existenz für sie beide verdienen kann. Deshalb sorgt ihre Adoptivmutter dafür, dass Beth trotz ihres jugendlichen Alters an größeren Turnieren in den USA und später auch an internationalen Wettkämpfen teilnehmen kann.

THE QUEEN’S GAMBIT (L to R) ANYA TAYLOR-JOY as BETH HARMON in episode 107 of THE QUEEN’S GAMBIT Cr. COURTESY OF NETFLIX © 2020

Ihr größer Widersacher und späterer Trainer ist das Wunderkind Benny Watts (Thomas Brodie-Sangster), der zutreffend analysiert, dass die russischen Schachspieler als Team arbeiten, während die US-Amerikaner selbstverliebte Individualisten sind. Als Beth tatsächlich ins Endspiel gegen den russischen Großmeister Vasily Borgov kommt, tun sich Beths Freunde und Bekannte zusammen, um sie als Team zu unterstützen, damit sie den übermächtigen Gegner schlagen kann. Natürlich ist der Weg dorthin mit schweren Entscheidungen und Rückschlägen gespickt. Während sie ihre Gegenspieler auf dem Schachbrett eiskalt zerstören kann, hat sie im echten Leben mit weniger berechenbaren Widersachern zu kämpfen. Genau das macht Beths Entwicklung so spannend und sehenswert. Es geht um so viel mehr als Schach. Es geht um Erwachsenwerden und Selbstbehauptung, um Abhängigkeit und Kampf, aber auch um Liebe und Freundschaft. Alles in allem also eine kurzweilige Serie über das Leben eines Wunderkindes, das sich nicht vereinnahmen lassen will und deshalb immer wieder aneckt. Denn trotz aller Genialität ist Beth immer wieder auf Menschen angewiesen, die ihr weiter helfen. Für mich war das einer der spannendsten Aspekte der Handlung: Beth muss immer wieder Kompromisse eingehen, nachdem sie für sich rote Linien gezogen hat. An der Realität kommt halt niemand vorbei, nicht einmal die beste Schachspielerin der Welt.

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