True Crime auf Deutsch

Das deutsche Fernsehen schafft es immer wieder, bereits mit eigenartigen Titeln abzuschrecken: „Das Geheimnis des Totenwaldes“ klingt nicht gerade wie eine Krimi-Serie, die ich unbedingt gesehen haben müsste. Tatsächlich ist ausgerechnet dieser Mehrteiler aber einer, der sich vom inflationär wuchernden Krimigedöns mit immer neuen Sokos und regionalen Schnurren aus zu recht längst vergessen Gegenden wohltuend abhebt. Es handelt sich um die Verfilmung eines spektakulären Falls von Polizeiversagen, der nur dank der Hartnäckigkeit eines persönlich betroffenen Ermittlers nach Jahrzehnten doch noch aufgeklärt werden konnte.

Serienposter Das Geheimnis des Totenwaldes Bild: ard

Es geht um die so genannten Göhrde-Morde im Sommer 1989: In einem Waldstück nahe Lüneburg werden zwei Liebespaare ermordet, eine weitere Frau verschwindet spurlos. Es handelt sich um die Schwester des damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten von Hamburg, Wolfgang Sielaff. In der Verfilmung heißt er Thomas Bethge und wird von Matthias Brand verkörpert. Zuständig für die Ermittlungen ist allerdings die Polizei im niedersächsischen Lüneburg, und die ist leider nicht so richtig engagiert. Allzuoft glänzen die Kollegen mit lebhaftem Desinteresse und eifersüchtigem Kompetenzgerangel. Wenn es drauf ankommt, liefern sie schlampige Arbeit ab. Statt ordentlich zu ermitteln legen sie sich früh auf zu Unrecht Verdächtigte fest, die dadurch ruiniert werden, aber nicht als Täter präsentiert werden können. So enden die Ermittlungen immer wieder in der Sackgasse, der Fall wird schließlich zu den Akten gelegt. Deshalb ist der wahre Täter noch Jahre später auf freiem Fuß. Wieviele Menschen er tatsächlich auf dem Gewissen hat, kann nicht mehr ermittelt werden, denn er erhängt sich im Jahr 1993 in der Untersuchungshaft. Aber als Pensionär, der in eigener Sache immer weiter ermittelt hat, findet Sielaff schließlich im Jahr 2017 die sterblichen Überreste seiner Schwester in einer unsachgemäß angelegten Montagegrube in der Garage ihres nie verurteilten Mörders.

Drehbuchautor Stefan Kolditz und Regisseur Sven Bohse machen aus dieser an sich schon bemerkenswerten True-Crime-Vorlage einen wirklich sehenswerten Mehrteiler, der mit hinzugedichteten Figuren wie der jungen Kriminalistin Anne Bach (Karoline Schuch) auch gesellschaftliche Missstände thematisiert, in diesem Fall Sexismus (nicht nur) bei der Polizei. Ich will die Erwartungen nicht zu hoch schrauben, aber der über Jahrzehnte gespannte Handlungsbogen hat schon etwas von der Ausnahmeserie True Detective, wobei das philosophische Geschwurbel des schrulligen Ermittlerteams der US-Serie fehlt, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss.

Optisch erinnert mich Das Geheimnis des Totenwaldes durchaus an Dark, die Stimmung ist nicht weniger düster und beklemmend, aber die Handlung ist in der Realität verankert, was für mich definitiv ein Pluspunkt ist. Vor allem der dritte und letzte Teil ist grandios, in dem der längst im Ruhestand befindliche Bethge mit Hilfe von Anne Bach, die inzwischen eine anerkannte Kriminalpsychologin ist, und ihrem damaligen Kollegen Frank Behringer (Andreas Lust), nach und nach die haarsträubenden Pannen bei der damaligen Ermittlung aufdeckt und zumindest teilweise für die Lösung des Falls nutzen kann.

Eine solche Geschichte kann man sich kaum ausdenken: Weder die unselige Mischung aus Überheblichkeit und Unfähigkeit bei den damaligen Ermittlern, vor deren Nase der tatsächliche Täter jahrelang unerkannt herumtanzten und immer wieder morden konnte, noch die unglaubliche Beharrlichkeit von Bethge und seinem kleinen Team, das am Ende doch noch herausfindet, was in jenem Waldstück bei Lüneburg tatsächlich passiert ist. Das Geheimnis des Totenwaldes mag für Freunde von Knalltüten-Tatorts vielleicht ein wenig anstrengend sein, ist ansonsten aber ein echtes Highlight, nicht nur für True-Crime-Fans. Verfügbar in der ARD-Mediathek.

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