Blackout: Europa im Dunkeln

Vor zehn Jahren erregte der Roman Blackout – Morgen ist es zu spät von Marc Elsberg größere Aufmerksamkeit. Der Autor beschreibt in seinem Buch die verheerenden Auswirkungen eines europaweiten Stromausfalls, der mit einer rätselhaften Panne in einem österreichischen Wasserkraftwerk an der Donau beginnt und sich über die Stromnetze in kurzer Zeit über ganz Europa ausbreitet. Schnell wird klar, dass das alltägliche Leben, so wie wir es gewohnt sind, innerhalb kürzester Zeit komplett zusammenbricht: Ohne Strom geht gar nichts, die Küche bleibt kalt, der Kühlschrank leider nicht, man bekommt weder Bargeld am Automaten noch Benzin an der Tankstelle, die Kommunikationsnetze brechen zusammen und irgendwann ist jeder Akku leer. Bald herrschen Chaos und Anarchie, die andauernde Unterbrechung der Energieversorgung bedroht schließlich auch Kernreaktoren, deren Kühlsysteme ohne Diesel für die Notstromaggregate nicht mehr funktionieren. Die Menschen fühlen sich von ihren Regierungen im Stich gelassen und greifen zu immer verzweifelteren Maßnahmen, um irgendwie zu überleben.

Moritz Bleibtreu als Pierre Manzano in Blackout. Bild SAT1 via serienjunkies.de

Es war nur einen Frage der Zeit, bis diese spannende und verstörende Geschichte fürs Fernsehen aufbereitet werden würde. Inzwischen haben SAT1 und Joyn daraus einen Sechsteiler gemacht, der im Oktober über Joyn+ veröffentlicht wurde. Moritz Bleibtreu spielt darin den Informatiker Pierre Manzano, der nunmehr in Bozen Pizza ausliefert, nachdem er wegen seiner früheren Aktivitäten mit den Behörden in Konflikt geraten ist. Manzano begreift schnell, dass es sich nicht um eine Serie dummer Zufälle handelt, sondern um einen gezielten Anschlag, denn er hatte früher selbst einmal darüber nachgedacht, wie so etwas zu bewerkstelligen wäre. Er beschließt, einem wichtigen Energieversorger und den Behörden seine Hilfe anzubieten, gerät aber schnell selbst in Verdacht, der Drahtzieher hinter den katastrophalen Ereignissen zu sein.

In Deutschland versuchen die Behörden, die Lage irgendwie in den Griff zu kriegen. Weil es sich offensichtlich um eine Situation handelt, in der man nur alles falsch machen kann, ist keiner von den wichtigen Männern bereit, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb wird die stellvertretende Referatsleiterin für Krisenmanagement, Frauke Michelsen (Marie Leuenberger), zur Leiterin des Krisenstabs befördert, die nun harte Entscheidungen treffen muss. Etwa wie die viel zu wenigen Notstromaggregate und die Treibstoffreserven verteilt werden sollen. Sind jetzt Krankenhäuser wichtiger oder Kraftwerke? Und weil das alles noch nicht genug ist, verschwinden Fraukes Kinder irgendwo zwischen Hamburg und Berlin, weil der ICE liegengeblieben ist, der sie eigentlich zurück zu ihrer Mutter bringen sollte.

Obwohl die Serie alles in allem spannend gemacht und hochkarätig besetzt ist (neben dem für die Rolle geradezu idealen Bleibtreu und Marie Leuenberger sind unter anderem Herbert Knaup, Stephan Kampwirth, Francis Fulton Smith, Jessica Schwarz, Milena Dreißig, Lena Klenke und Heiner Lauterbach dabei), war ich doch ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich den Roman anders in Erinnerung, mir ist die Geschichte beim Lesen viel mehr unter die Haut gegangen. Für meinen Geschmack wurde viel zu viel der Handlung in die sterilen Räume des Berliner Regierungsviertels mit seiner Schießschartenarchithektur verlegt. Das ist aus Budgetgründen durchaus nachvollziehbar, und ja, irgendwie soll es wohl zeigen, dass „die da oben“ von der existenziellen Not der Menschen da draußen gar nicht so viel mitbekommen. Aber ich hätte mir mehr Bilder mit mehr betroffenen Menschen gewünscht, so ein Ausnahmezustand betrifft ja nun wirklich alle. Das Buch ist so aufrüttelnd, weil dort einfach beschrieben wird, welche Konsequenzen ein mehrtägiges Blackout haben wird, ohne dabei besonders auf die Tränendrüse zu drücken. Es ist alles so schon schlimm genug.

Wobei auch in der Serie exemplarisch schon gezeigt wird, was so ein Stromausfall etwa für die Landwirtschaft bedeutet, wenn die Kühe nicht mehr maschinell gemolken werden können und die Tiere vor Schmerzen schreien. Oder wenn die Pfleger in den Kliniken die Patienten, die sie nicht mehr versorgen können, mit Überdosen töten, damit sie nicht qualvoll allein verrecken. Was angesichts der aktuellen Situation mit rasant steigenden Coronainfektionszahlen und einer entsprechenden Überlastung der Intensivstationen besonders beklemmend ist.

Ein bisschen mehr Fokus auf diese Dinge statt der dazu erfundenen Gruselgeschichte im Stil von Hänsel und Gretel, oder in diesem Fall halt Gretel und Gretel, hätte der Serie gut getan. Immerhin sieht man ein bisschen von Brandenburg, leider genau in dem Sinne, der die Vorurteile des ewigen Wessis bedient: Der Müll stapelt sich in dunklen Gassen, in denen das Kopfsteinpflaster aus vergangenen Jahrhunderten in der Dunkelheit trübe glänzt. Und man weiß nicht, was der vorgeblich freundliche Fleischer mit den Kindern, zu denen er im Zug schon viel zu nett war, eigentlich vorhat… nee Leute, echt jetzt?!

Dass dann alles nochmal anders kommt und der nutz- und verantwortungslose Künstlervater am Ende unrealistischerweise förmlich über seine Sprösslinge stolpert und damit dann quasi rehabilitiert ist, kann man machen, ist mir dann aber doch zu SAT1. Nein, das braucht keine Spoilerwarnung, natürlich sterben die Kinder nicht, das ist eine deutsche Serie. Und da haben wir schon wieder das Problem. Die deutsche Serienfabrikation liefert solide Handwerkstücke, aber mehr eben auch nicht. Natürlich gibt es eine Menge blöder Zufälle, was schief gehen kann, geht schief, oder zumindest fast, aber letztlich gibt es keine spannenden Entwicklungen oder überraschende Wendungen, die zeitgenössische Spitzenserien aus anderen Ländern auszeichnen.

Was schade ist, denn gerade diese Vorlage hätte so viel Potenzial für die publikumswirksame Aufbereitung wichtiger Themen geboten, etwa Klimakrise, Energiewende, oder die zunehmend existenzielle Frage, wie Reichtum und Besitz in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft verteilt werden sollen. Denn es zeigt sich ja schnell, dass Serverfarmen und Glasfasernetze ohne Strom nichts mehr wert sind, während Brennstoffe oder Lebensmittel plötzlich zur neuen Währung werden. Aber die Frage, wie man derartigen Krisen als Gesellschaft künftig besser begegnen könnte, wird nicht einmal ansatzweise gestellt. Es ist ja schon schlimm genug, dass die real existierende Politik auf die realexistierenden Krisen keinerlei zukunftsweisenden Antworten hat. Aber warum sind die so genannten Kreativen hierzulande kein bisschen besser?

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