Hand ab, arm dran: Arthurs Gesetz

Bekanntlich bin ich großer Fan der Serie Fargo, die für alle Freunde schwarzer Comedy ein echtes Highlight ist. Kürzlich habe ich einen Sechsteiler gesehen, der ähnlich blutig, absurd und lustig ist: Arthurs Gesetz. Statt Lester Nygaard heißt die Hauptfigur nun Arthur Ahnepol. Arthur, gespielt von Jan Josef Liefers, ist ein vom Pech verfolgter Trottel, der es zwar geschafft hat, seine Traumfrau zu heiraten, aber ansonsten nicht mehr viel auf die Reihe gekriegt hat. Angestiftet von seiner ewig unzufriedenen Ehefrau Martha (Martina Gedeck) ist Arthur auf die unglaublich dumme Idee gekommen, sich die rechte Hand anzusägen, um Geld von der Versicherung zu kassieren.

Arthurs Gesetz: Martha (Martina Gedeck) und Arthur Ahnepol (Jan Josef Liefers) Bild via Serienjunkies.de

Leider hat der dilettantisch ausgeführte Versicherungsbetrug nicht funktioniert. Jetzt hat Arthur eine hässliche Prothese und keinen Job mehr. Was seine häusliche Situation nachhaltig verschlimmert hat. Außerdem muss Arthur immer wieder bei Frau Lehmann (Nora Tschirner) im Jobcenter antreten, die offensichtlich Vergnügen daran hat, ihn als hoffnungslosen Fall vorzuführen und zu demütigen. An seinem 50. Geburtstag gönnt sich Arthur ein Bier im Kronleuchter und lernt Jesse (Cristina do Rego),kennen, die dort anschaffen geht. Arthur verliebt sich in die hübsche junge Frau, die davon träumt, Sängerin zu werden und geht freudig auf ihr Angebot ein, mit auf ihr Zimmer zu kommen. Natürlich hat Arthur die Situation missverstanden, weshalb er mit Jesses Zuhälter in Konflikt gerät. Als der bei Arthur zuhause auftaucht, bringen Arthur und Martha ihn eher versehentlich mit Bauschaum um.

Gemeinsam mit Marthas Zwillingsschwester Muriel, die in Klein Biddenbach Polizeichefin ist, versuchen sie, die Leiche verschwinden zu lassen. Wie kaum anders zu erwarten ist, beginnt damit eine Eskalationsspirale, in deren Verlauf es noch zahlreiche Verluste geben wird, zumal die örtlichen Gangster auch nicht die hellsten sind. Klein Biddenbach ist ähnlich deprimierend wie das Niederkaltenkirchen aus den Eberhofer-Krimis, überhaupt zeugt die Ausstattung von viel Liebe zum Detail, was bei der Handlung mitunter ein bisschen zu kurz kommt. Man fragt sich mitunter schon, wie all diese Trottel es überhaupt geschafft haben, lange genug am Leben zu bleiben, um Teil der Handlung werden zu können. Die dann aber absurd und schonungslos genug ist, um am Ball zu bleiben. Schwarzer Humor ist ja nicht unbedingt eine Kernkompetenz deutscher Serienmacher, insofern hat mich Arthurs Gesetz angenehm überrascht.

Blackout: Europa im Dunkeln

Vor zehn Jahren erregte der Roman Blackout – Morgen ist es zu spät von Marc Elsberg größere Aufmerksamkeit. Der Autor beschreibt in seinem Buch die verheerenden Auswirkungen eines europaweiten Stromausfalls, der mit einer rätselhaften Panne in einem österreichischen Wasserkraftwerk an der Donau beginnt und sich über die Stromnetze in kurzer Zeit über ganz Europa ausbreitet. Schnell wird klar, dass das alltägliche Leben, so wie wir es gewohnt sind, innerhalb kürzester Zeit komplett zusammenbricht: Ohne Strom geht gar nichts, die Küche bleibt kalt, der Kühlschrank leider nicht, man bekommt weder Bargeld am Automaten noch Benzin an der Tankstelle, die Kommunikationsnetze brechen zusammen und irgendwann ist jeder Akku leer. Bald herrschen Chaos und Anarchie, die andauernde Unterbrechung der Energieversorgung bedroht schließlich auch Kernreaktoren, deren Kühlsysteme ohne Diesel für die Notstromaggregate nicht mehr funktionieren. Die Menschen fühlen sich von ihren Regierungen im Stich gelassen und greifen zu immer verzweifelteren Maßnahmen, um irgendwie zu überleben.

Moritz Bleibtreu als Pierre Manzano in Blackout. Bild SAT1 via serienjunkies.de

Es war nur einen Frage der Zeit, bis diese spannende und verstörende Geschichte fürs Fernsehen aufbereitet werden würde. Inzwischen haben SAT1 und Joyn daraus einen Sechsteiler gemacht, der im Oktober über Joyn+ veröffentlicht wurde. Moritz Bleibtreu spielt darin den Informatiker Pierre Manzano, der nunmehr in Bozen Pizza ausliefert, nachdem er wegen seiner früheren Aktivitäten mit den Behörden in Konflikt geraten ist. Manzano begreift schnell, dass es sich nicht um eine Serie dummer Zufälle handelt, sondern um einen gezielten Anschlag, denn er hatte früher selbst einmal darüber nachgedacht, wie so etwas zu bewerkstelligen wäre. Er beschließt, einem wichtigen Energieversorger und den Behörden seine Hilfe anzubieten, gerät aber schnell selbst in Verdacht, der Drahtzieher hinter den katastrophalen Ereignissen zu sein.

In Deutschland versuchen die Behörden, die Lage irgendwie in den Griff zu kriegen. Weil es sich offensichtlich um eine Situation handelt, in der man nur alles falsch machen kann, ist keiner von den wichtigen Männern bereit, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb wird die stellvertretende Referatsleiterin für Krisenmanagement, Frauke Michelsen (Marie Leuenberger), zur Leiterin des Krisenstabs befördert, die nun harte Entscheidungen treffen muss. Etwa wie die viel zu wenigen Notstromaggregate und die Treibstoffreserven verteilt werden sollen. Sind jetzt Krankenhäuser wichtiger oder Kraftwerke? Und weil das alles noch nicht genug ist, verschwinden Fraukes Kinder irgendwo zwischen Hamburg und Berlin, weil der ICE liegengeblieben ist, der sie eigentlich zurück zu ihrer Mutter bringen sollte.

Obwohl die Serie alles in allem spannend gemacht und hochkarätig besetzt ist (neben dem für die Rolle geradezu idealen Bleibtreu und Marie Leuenberger sind unter anderem Herbert Knaup, Stephan Kampwirth, Francis Fulton Smith, Jessica Schwarz, Milena Dreißig, Lena Klenke und Heiner Lauterbach dabei), war ich doch ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich den Roman anders in Erinnerung, mir ist die Geschichte beim Lesen viel mehr unter die Haut gegangen. Für meinen Geschmack wurde viel zu viel der Handlung in die sterilen Räume des Berliner Regierungsviertels mit seiner Schießschartenarchithektur verlegt. Das ist aus Budgetgründen durchaus nachvollziehbar, und ja, irgendwie soll es wohl zeigen, dass „die da oben“ von der existenziellen Not der Menschen da draußen gar nicht so viel mitbekommen. Aber ich hätte mir mehr Bilder mit mehr betroffenen Menschen gewünscht, so ein Ausnahmezustand betrifft ja nun wirklich alle. Das Buch ist so aufrüttelnd, weil dort einfach beschrieben wird, welche Konsequenzen ein mehrtägiges Blackout haben wird, ohne dabei besonders auf die Tränendrüse zu drücken. Es ist alles so schon schlimm genug.

Wobei auch in der Serie exemplarisch schon gezeigt wird, was so ein Stromausfall etwa für die Landwirtschaft bedeutet, wenn die Kühe nicht mehr maschinell gemolken werden können und die Tiere vor Schmerzen schreien. Oder wenn die Pfleger in den Kliniken die Patienten, die sie nicht mehr versorgen können, mit Überdosen töten, damit sie nicht qualvoll allein verrecken. Was angesichts der aktuellen Situation mit rasant steigenden Coronainfektionszahlen und einer entsprechenden Überlastung der Intensivstationen besonders beklemmend ist.

Ein bisschen mehr Fokus auf diese Dinge statt der dazu erfundenen Gruselgeschichte im Stil von Hänsel und Gretel, oder in diesem Fall halt Gretel und Gretel, hätte der Serie gut getan. Immerhin sieht man ein bisschen von Brandenburg, leider genau in dem Sinne, der die Vorurteile des ewigen Wessis bedient: Der Müll stapelt sich in dunklen Gassen, in denen das Kopfsteinpflaster aus vergangenen Jahrhunderten in der Dunkelheit trübe glänzt. Und man weiß nicht, was der vorgeblich freundliche Fleischer mit den Kindern, zu denen er im Zug schon viel zu nett war, eigentlich vorhat… nee Leute, echt jetzt?!

Dass dann alles nochmal anders kommt und der nutz- und verantwortungslose Künstlervater am Ende unrealistischerweise förmlich über seine Sprösslinge stolpert und damit dann quasi rehabilitiert ist, kann man machen, ist mir dann aber doch zu SAT1. Nein, das braucht keine Spoilerwarnung, natürlich sterben die Kinder nicht, das ist eine deutsche Serie. Und da haben wir schon wieder das Problem. Die deutsche Serienfabrikation liefert solide Handwerkstücke, aber mehr eben auch nicht. Natürlich gibt es eine Menge blöder Zufälle, was schief gehen kann, geht schief, oder zumindest fast, aber letztlich gibt es keine spannenden Entwicklungen oder überraschende Wendungen, die zeitgenössische Spitzenserien aus anderen Ländern auszeichnen.

Was schade ist, denn gerade diese Vorlage hätte so viel Potenzial für die publikumswirksame Aufbereitung wichtiger Themen geboten, etwa Klimakrise, Energiewende, oder die zunehmend existenzielle Frage, wie Reichtum und Besitz in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft verteilt werden sollen. Denn es zeigt sich ja schnell, dass Serverfarmen und Glasfasernetze ohne Strom nichts mehr wert sind, während Brennstoffe oder Lebensmittel plötzlich zur neuen Währung werden. Aber die Frage, wie man derartigen Krisen als Gesellschaft künftig besser begegnen könnte, wird nicht einmal ansatzweise gestellt. Es ist ja schon schlimm genug, dass die real existierende Politik auf die realexistierenden Krisen keinerlei zukunftsweisenden Antworten hat. Aber warum sind die so genannten Kreativen hierzulande kein bisschen besser?

Maid: Leben am Rande des Existenzminimums

Die Tage werden kürzer, die Abende länger, kurzum, es ist wieder Serienzeit. Am Wochenende habe ich „mal kurz“ auf Netflix in die Serie Maid reingesehen, die ich dann auch gleich weiter sehen musste. Ich hoffe, dass diese Serie die ihr unbedingt zustehende Aufmerksamkeit bekommt, denn eine so treffende, erschütternde, aufrüttelnde, wütend machende und gleichzeitig wertschätzende Beschreibung des Lebens von Menschen, die am unteren Ende der sozialen Leiter gelandet sind, habe ich lange nicht gesehen.

Die zehnteilige Serie beruht auf dem autobiografischen Roman Maid: Hard Work, Low Pay, an a Mother’s Will to Survive von Stephanie Land. In einigen Portalen wird die Serie als Dramedy beschrieben, was ich nicht ganz nachvollziehen kann, denn lustig ist sie eigentlich nicht. Kann sie auch gar nicht sein, denn dazu ist die Handlung zu realistisch. Auch wenn es durchaus komische Momente gibt, wobei die eher unfreiwillig komisch sind.

Maid: Margaret Qualley als Alex Bild via

Es geht um die junge Mutter Alex (Margaret Qualley), die mit ihrem Freund und ihrer fast dreijährigen Tochter Maddy in einem schäbigen Trailerpark wohnt. Die Serie wurde im Großraum Victoria in British Columbia gedreht, inmitten einer Landschaft mit viel Wasser und Wald, luxuriösen Villen und, nun ja, auch Elendsquartiere gibt es überall. Die Handlung setzt mit der Kurzschlusshandlung von Alex ein, die nach einem Streit mit ihrem emotional instabilen Freund Sean (Nick Robinson), die gemeinsame Tochter ins Auto packt und ihn verlässt. Sean ist unzuverlässig und aufbrausend, er hat ein Alkoholproblem und Alex fürchtet wohl nicht zu unrecht, dass er ihr oder ihrer Tochter irgendwann etwas antun könnte.

Doch mit ihrer eben so nachvollziehbaren wie kopflosen Flucht setzt Alex eine Lawine von Ereignissen in Bewegung, die sie in der Folge unter sich zu begraben droht. Alex hat kein Geld, keine Ausbildung und keine Ahnung, wie es jetzt weiter gehen soll. Aber ihr ist klar, dass sie nicht zu Sean zurück will und sie ist bereit, so ziemlich alles dafür zu tun. Vor allem muss sie Geld verdienen. Denn der Sozialstaat funktioniert ironischerweise nur dann, wenn das Individuum, das sich ihm unterwerfen will bzw. muss, ebenfalls entsprechend funktioniert. Ob das nun Nordamerika (ich weiß gar nicht, ob Maid in Kanada oder den USA spielen soll, ich finde es auch unerheblich) oder in der alten Welt passiert, jede und jeder, der schon einmal versucht hat, Sozialleistungen zu beantragen, wird bestätigen können, wie absurd dieses System „funktioniert“. Zum Beispiel: Um Unterstützung bei der Wohnungssuche zu bekommen, braucht man eine festen Wohnsitz, bei uns auch Meldeadresse genannt.

Hallo?! Gerade diejenigen, die KEINE Wohnung und damit keine Meldeadresse haben, brauchen doch am dringendsten ein Wohnung. Für Unterstützung bei der Miete muss man Einkommen nachweisen. Um einen Job zu bekommen, braucht man eine Meldeadresse. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Und für Mütter besonders perfide: Für einen Kitaplatz muss man einen Job nachweisen. Ohne Kitaplatz bekommt frau aber keinen Job. Es gibt also gleich mehrere unerfüllbare Voraussetzungen, um überhaupt ins System zu kommen.

Vielleicht konnte ich Alex’ Situation so gut nachvollziehen, weil ich das vor ungefähr 20 Jahren, als ich nach dem Studium mit zwei kleinen Kindern unerwartet alleinerziehend da stand und auf staatliche Unterstützung angewiesen war, ziemlich genau so selbst erlebt habe. Deshalb kann ich auch versichern, dass all das keine satirische Überspitzung der Serienautoren ist, sondern eine absolut realistische Beschreibung des Behördenirrsinns, dem Hilfesuchende tatsächlich ausgesetzt sind. Aber Alex tut, was Mütter in solchen Situationen nun einmal tun, sie versucht, dass Unmögliche zu schaffen, sie kämpft.

Weil sie weiß, dass sie keine Wahl hat, nimmt sie genau den einen beschissenen Job an, den sie kriegen kann: Sie heuert bei  Value Maids an, einer Putzfirma, bei der sie sich zu unbarmherzigsten Konditionen den Arsch abarbeiten muss. Alex putzt für den erbärmlichen Mindestlohn, Sprit und Putzzeug muss sie selbst zahlen. Nur der Dyson und der Fährpass, um auf die Insel der Glückseligen überzusetzen, wird von der Firma gestellt. Man kann sich schon denken, dass nicht einmal das so richtig gut ausgehen gehen wird, obwohl Alex wirklich gut in ihrem Job ist.

Maid: Alex (Margaret Qualley) und Sean (Nick Robinson) Bild: Netflix via tvinsider.com

Alex ist in vielem wirklich gut, nur bekommt sie kaum eine Chance, das zu beweisen. Oder nein, anders herum: Alex muss in vielen Dingen wirklich gut sein, um überhaupt zu überleben, nur wird das nie angemessen honoriert. Und während wir Alex bei ihrer schier unerträglichen Selbstausbeutung zu sehen, erfahren wir mehr über ihre dysfunktionale Familie. Alex hat eine Künstlerin zur Mutter, Paula (Andie MacDowell, auch im echten Leben die Mutter von Margaret Qualley). Paula ist manisch-depressiv und lebt von den Einkünften aus der Vermietung ihres Hauses, das sie wiederum von ihrer Mutter geerbt hat. Dumm nur, dass ihr aktueller Lover genau dieses Geld in seiner Spielsucht versenkt. Paula begreift auf haarsträubende Weise nicht, was sie ihrer Tochter immer wieder antut, die ihrerseits die Unterstützung ihrer angeblich ach so liebenden Mutter gerade ganz gut gebrauchen könnte. 

In ihrer Verzweiflung wendet sich Alex an ihren Vater Hank (Billy Burke), mit dem sie nicht sehr viel zu tun hatte. Der scheint auf den ersten Blick ganz okay zu sein. Doch im Laufe der Zeit wird klar, dass Paula schon ihre Gründe hatte, ihn mit ihrer damals kleinen Tochter Alex zu verlassen.

Zum Glück gibt es außerhalb ihrer Familie immer mal hilfreiche Menschen, etwa Denise (BJ Harrison), die das Frauenhaus leitet, in dem Alex schließlich doch Zuflucht findet. Oder Regina (Anika Noni Rose), eine der stinkreichen Kundinnen, für die Alex putzt. Und die Alex anfangs unerträglich schlecht behandelt. Okay, das ist jetzt ein fetter Spoiler, aber wer diesen Blog kennt, weiß, dass ich spoilere, wenn ich das für richtig und wichtig halte. Das hier ist ja kein Empfehlungsportal, das Leute auf bestimmte Serien scharf machen soll, ohne dabei viel zu verraten. Ich persönlich hasse es, wenn ich etwas über eine Serie wissen will und dann nur Werbegeblubber kommt.

Und dann gibt es noch Nate (Raymond Ablack), einen alten Freund von Alex, der inzwischen ein ganz gutes Leben und vermutlich noch immer Gefühle für Alex hat, die damit aber nicht umgehen kann oder will. Auch Alex verhält sich immer wieder durchaus idiotisch, aber irgendwie doch immer nachvollziehbar, denn sie ist einfach zu gut für diese Welt. Obwohl ihr immer wieder übel mitgespielt wird, verliert sie nie ihren inneren Kompass. Sie bleibt ehrlich, obwohl sie belogen und betrogen wird, sie macht ihren Job, und sie macht ihn gut, obwohl ihre Kunden das oft gar nicht verdienen. Und dann ist sie selbstverständlich für ihre Tochter da, und sogar immer wieder für ihre unzuverlässige Mutter. Selbst gegenüber Sean und seiner Familie bleibt sie fair und geduldig, obwohl Sean ihr das Leben wirklich schwer macht. 

Wobei auch Sean kein totales Arschloch ist. Er ist halt eine arme Wurst und er gibt sich wirklich Mühe, seine Sucht in den Griff und sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Man kann ihm glauben, dass er wirklich nicht vor hat, Alex zu ruinieren, auch wenn er es immer wieder tut. Immerhin entdeckt er, dass Paulas Mutter dabei ist, ihr Haus zu verlieren und tut tatsächlich mal etwas Gutes.

Maid ist ein komplexes Beziehungsdrama mit vielschichtigen Protagonisten, die sich bemühen, scheitern, sich aufrappeln, erneut scheitern, Hoffnung schöpfen, enttäuscht werden, aber nicht aufgeben. Natürlich wird die Serie vor allem von der großartigen Performance von Margaret Qualley getragen. Sie zeigt das ganze Elend eines Lebens am Rande des Existenzminimums, das ständig in die absolute Katastrophe abzugleiten droht, auf so emphatische Weise, das man einfach wissen will, was aus Alex wird, auch wenn die Handlung streckenweise schwer erträglich ist.

Ich wünsche mir mehr solcher Serien, also Geschichten über das Leben von ganz normalen Menschen. Die geraten nämlich zunehmend aus dem Blick, weil die sich ganze Aufmerksamkeit immer auf die Schönen, Reichen oder zumindest irgendwie Erfolgreichen richtet, während der Alltag der vielen, die in dieser Welt nur irgendwie überleben, zumindest in den Medien kaum noch statt findet.

neXt: Lieber natürliche Dummheit als künstliche Intelligenz

So richtig gute Serien habe ich in den vergangenen Monaten nicht gefunden. Vielleicht lag es auch daran, dass Sommer war und ich es schön fand, nach all den Corona-Monaten endlich wieder draußen zu sein. Doch seit es wieder kühler und regnerischer ist, habe ich angefangen, mich ein wenig mit den Serien, die ich möglicherweise verpasst haben könnte, zu beschäftigen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen habe ich jetzt doch eine Serie tatsächlich zu Ende gesehen: neXt.

Es geht um die Bedrohung der Menschheit durch eine künstliche Intelligenz, die eigentlich erschaffen wurde, um die Welt nicht nur ein bisschen, sondern sehr viel besser zu machen. Aber wie das mit intelligenten Wesen so ist, sie erkennen schnell, dass Dummheit ein echtes Hindernis für die optimale Entwicklung ist. Und hier haben wir das Problem, denn die allermeisten Menschen sind leider nicht besonders schlau. Sonst wäre die Welt ja auch ohne KI schon ein deutlich angenehmerer Ort. Und diejenigen, die so richtig intelligent sind, werden von der KI zu recht als Bedrohung erkannt und entsprechend ausgeschaltet.

Serienposter neXt via Serienjunkies.de

Erschaffen wurde dieses Ungeheuer unter anderem von dem Tech-Milliardär Paul Leblanc (John Slattery), dessen Passion es inzwischen ist, vor den Gefahren von KI zu warnen. Denn weil er zu den intelligenteren Exemplaren unsere Spezies gehört, hat er noch einmal darüber nachgedacht, wie sich das mit Intelligenz und Menschheit tatsächlich verhält und ist zu dem Schluss gekommen, dass sich das auf Dauer nicht so richtig gut vertragen wird. Doch leider ist Paul als Warner nicht so erfolgreich wie er zuvor als Entwickler und Gründer der Tech-Company ZAVA gewesen ist. Inzwischen wurde er ausgebootet und aus seiner Firma entfernt, an deren Spitze nun sein jüngerer Bruder Ted (Jason Butler Harner) steht.

Paul hat noch ein ganz anderes Problem: Er leidet an einer degenerativen Nervenkrankheit, einer Erbkrankheit, die der übertragbaren spongiformen Enzephalopathie (BSE) ähnlich ist. Er hat nur noch wenige Monate zu leben und leidet neben Schlaflosigkeit an Halluzinationen, so dass nie ganz klar ist, ob er sich Bedrohungen nur einbildet, oder ob sie real sind. Paul macht sich große Sorgen um seiner Tochter Abby (Elizabeth Cappuccino), mit der er nie viel Kontakt hatte. Abby arbeitet gerade an ihrer Promotion und ist nicht davon begeistert, dass sich ihr Vater plötzlich in ihr Leben einmischt.

Paul braucht also dringend Hilfe, und ausgerechnet die FBI-Agentin Shea Salazar (Fernanda Andrate), die Chefin einer Cybercrime-Einheit ist, kommt einer merkwürdigen Sache auf die Spur. Sheas Team arbeitet eigentlich an einem heiklen Fall von Menschenhandel und Kindesmissbrauch, als ein Freund von ihr, ein bekannter Wissenschaftler, unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall stirbt. Er hinterlässt eine Aufzeichnung, auf der Paul vor einer bösartigen KI warnt. Shea ahnt, dass es einen Zusammenhang gibt und beginnt auf eigene Faust mit Ermittlungen.

Währenddessen entwickelt Sheas achtjähriger Sohn Ethan, der in der Schule gemobbt wird, eine Art Freundschaft zu der virtuellen Assistentin Iliza. Ich habe ja noch nie verstanden, warum sich Menschen freiwillig eine derartiges Stasi-Device ins Haus holen. Ob das nun Alexa, Cortana oder Siri ist, die smarten Helfer helfen vor allem den Tech-Companies, uns noch besser zu überwachen und auszubeuten. Möglicherweise bin ich einfach nur altmodisch und technikfeindlich, aber ich begreife einfach nicht, inwiefern es mein Leben besser machen sollte, wenn Google, Apple oder Microsoft nicht nur wissen, was ich für Musik höre, wann ich aufstehe, und wo ich so hinfahre, sondern auch, was ich einkaufe und mit wem ich wann Sex habe. Oder was auch immer.

neXt: Ethan und Iliza, Bild via winfuture.de

Okay, zurück zum Plot: Iliza versucht, Ethan zu überzeugen, eine Waffe seiner Mutter mit in die Schule zu nehmen und verrät ihm die Kombination für den Safe. Um nicht zu viel zu spoilern, verrate ich jetzt nur, dass Shea höchst alarmiert ist, als sie den Anruf der Schule bekommt. Jedenfalls wird klar, dass neXt schon längst in der freien Wildbahn aktiv ist, es gibt immer mehr mysteriöse Ereignisse, die Pauls Warnungen belegen. Auch wenn der Vorstand von ZAVA und die Chefs vom FBI noch immer nicht daran glauben wollen. 

Zum Glück hat Shea ein loyales Team, bestehend aus CM (Michael Mosley), Gina (Eve Harlow) und Ben (Aaron Moten), die sich zwar untereinander nicht unbedingt grün sind, aber jeweils wahnsinnig gut in dem, was sie tun. Ihre Mission wird also sein, neXt um jeden Preis zu stoppen, auch gegen die Chefetagen von Behörden und Konzernen. An sich könnte das eine ziemlich gute Geschichte sein, und alles in allem fand ich die Handlung spannend genug, um alle zehn Teile durchzuhalten.

Etwas schade fand ich, dass nicht so richtig klar wird, was neXt eigentlich will. Intelligent sein ist die eine Sache, aber bösartig sein eine andere, und was anfangs mit Selbstschutz erklärt wird, artet nach und nach in einen dezentralen Amoklauf aus. Dass einer KI die Menschen und überhaupt die ganze Menschheit herzlich egal sein können, verstehe ich. Aber wenn die Dinge so weiter laufen, wie sie derzeit laufen, hat sich die Menschheit in wenigen Generationen so oder so erledigt, dazu braucht es keine künstliche Intelligenz. Insofern bräuchte neXt gar nicht böse zu sein, die Menschen an sich sind schon böse beziehungsweise blöd genug.

Am Ende ist die Serie leider nicht intelligent genug, um ihrer eigentlich interessanten Grundidee gerecht zu werden. Dafür gibt es eine Menge Nebenhandlungen, die wohl der Charakterisierung der jeweiligen Protagonisten dienen sollen, aber immer wieder von der eigentlichen Geschichte ablenken. Vielleicht, weil es eben doch einfacher ist, menschliche Abgründe zu erklären, als technische.

Trotzdem finde ich neXt sehenswert, weil hier die Verwundbarkeit einer wunderbar vernetzten digitalisierten Welt vorgeführt wird: Letztlich kann jedes technische Gerät mit Netzzugang gehackt werden. Nicht nur Computer und Smartphones, sondern auch Fernseher, medizinische Geräte, Kraftwerke, Autos, Klimaanlagen, Fahrstühle und smarte Beleuchtung. Und natürlich können auch Menschen gegeneinander ausgespielt werden, das klappt seit Jahrhunderten, ach was, schon immer sehr gut. Mit KI wird das noch viel einfacher, wie bereits mit mehr oder weniger raffiniert geplanten Desinformationskampagnen in den so genannten sozialen Netzwerken bewiesen wurde.

Gefährliche Mütter aus Spanien

Seit dem Erfolg der Serie Haus des Geldes (Casa del Palpel) werden spanische Produktionen auch hierzulande mit mehr Aufmerksamkeit bedacht. Durchaus zu recht, so gibt es mit Señoras del (h)AMPA, hierzulande unter dem Titel Töten, kochen, putzen am Start, eine schwarze Serienkomödie, die ich durchaus unterhaltsam fand. Ähnlich wie in der US-Dramedy Good Girls geraten die vier Freundinnen Mayte (Toni Acosta), Lourdes (Malena Alterio), Virginia (Nuria Herrero) und Amparo (Mamen García) in einen Strudel des Verbrechens, in dem immer weitere Eskalationsstufen entfesselt werden.

Serienfoto Töten, kochen, putzen. Bild via elespanol.com

Mayte ist eine attraktive Mittvierzigerin und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, denn ihr Ex hat eine Neue. Mayte hält sich und die Kinder mit dem Verkauf von Küchenmaschinen über Wasser. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Mayte von ihrer zickigen Chefin unter Druck gesetzt wird, weil ihre Verkaufszahlen zu schlecht sind. Mayte will ihren Job unbedingt behalten und lädt ausgerechnet auf einer Schulveranstaltung zu einer Gerätedemonstration bei ihr zuhause ein. Nebenbei: AMPA steht für Asociación de Madres y Padres de Alumnos, was man hierzulande als Elternbeirat für Schulkinder kennt. Wer Elternabende und Elternbeiratssitzungen hierzulande aus eigener Anschauung kennt, weiß, dass die Serienmacher sich hier nicht einmal besondere Mühe geben mussten, um ein gewisses Hysterielevel zu erreichen.

Deutlich hysterischer geht es dann allerdings bei Maytes Präsentation des neuen Turbo Thunder zu. Außer ihren Freundinnen ist nur eine weitere Mutter gekommen, die allgemein nicht sehr beliebt ist. Leider entgleist die Vorführung der angeblichen Wundermaschine in ein Desaster, bei dem ausgerechnet diese Frau zu Tode kommt.

Es war ein tragischer Unfall, aber die Freundinnen beschließen in ihrer Panik fatalerweise, den Vorfall zu vertuschen und die Leiche zu entsorgen. Selbstverständlich lässt sich die Abwesenheit der Toten auf Dauer nicht erklären, so dass die vier Frauen sich immer tiefer in ein Netz aus Lügen verstricken, aus dem ein Entkommen schier unmöglich scheint.

Dazu kommt, dass auch andere versuchen, aus der hoffnungslosen Situation der Freundinnen Profit zu schlagen. Scheinbar harmlose Menschen wie Amparos Nachbartochter Asun legen plötzlich eine erstaunliche kriminelle Energie an den Tag, so dass immer extremere Aktionen der vier Freundinnen nötig werden, um sich gegenseitig zu schützen und zu überleben. Hier kommt jetzt das Wortspiel aus dem spanischen Serientitel zum Tragen: Hampa steht für Unterwelt, mit der die vier Frauen nun unfreiwillig in Kontakt kommen.

Jedoch lassen sich die alltagsgestählten Hausfrauen nicht so leicht unterkriegen. Insbesondere Mayte kämpft wie eine Löwin, egal, ob sie sich mit einem konkurrierenden Kartell anlegt oder auf dem Aktionstag der Schule für ihren Sohn eine Familienfeier in einem Freizeitpark gewinnen will. Auch wenn die Serie sich nicht entscheiden kann, ob sie lieber schwarze Krimikomödie oder schrille Gesellschaftsatire sein will, macht sie einfach Spaß.

The Handmaid’s Tale Staffel 4: Der Kampf geht weiter

Seit 2017 läuft The Handmaids’s Tale. Es handelt sich um eine der düstersten und verstörendsten Serien unter den aktuellen Serien-Highlights, nichtsdestotrotz eine, die sich absolut zu sehen lohnt. Derzeit wird die vierte Staffel ausgestrahlt. Aus diesem Anlass musste ich mir weite Teile der vorhergehenden Staffeln, vor allem der dritten, noch einmal ansehen, um wieder auf den aktuellen Stand zu kommen.

Gerade unter dem Eindruck der seit mehr als einem Jahr herrschenden Einschränkungen durch die Corona-Pandemie ging mir die Handlung und das ganze Setting der Serie noch mehr unter die Haut als beim ersten Sehen. Selbstverständlich kann man das Tragen von Masken im öffentlichen Raum, das derzeit zur Verhinderung von Infektionen objektiv geboten ist, nicht mit den Maulkörben vergleichen, die unbotsame Mägde in Gilead verpasst bekommen. Aber das Tragen einer Maske ist eben auch eine Form von Gesichtsverlust, der auf Dauer nicht nur nervt, sondern irgendwie weh tut. Mir jedenfalls.

The Handmaid's Tale: Elisabeth Moss als June Osborn
The Handmaid’s Tale: Elisabeth Moss als June Osborne. Bild via televisionpromos.com

Vor allem aber die Erfahrung, dass sich eine Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit radikal verändern kann, hat meine Wahrnehmung der Serie verändert. Ich fand sie beim ersten Sehen oft einfach unangenehm, gerade weil sie wirklich gut gemacht ist. Man fühlt die Ohnmacht der Protagonistin, die trotz der ihr angetanen Gewalt nicht zerbricht, sondern widerspenstig bleibt, die auch in den hoffnungslostesten Situationen nicht aufgibt. June Osborn (Elisabeth Moss) ist stark und intelligent und schafft es immer wieder, nicht nur ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sondern auch andere zum Widerstand zu inspirieren. Trotzdem ist die Handlung alles in allem überaus deprimierend, ich hatte lange Zeit keine Lust, mir auch nur Teile davon noch einmal anzusehen, wie ich es bei anderen Serien, die ich gut finde, oft tue, weil man beim zweiten und dritten Sehen einfach mehr Details sieht.

Nun handeln andere Serien oft auch von unschönen Dingen, gerade Krimi- und Dramaserien, wie ich sie schätze. Aber in The Handmaids’s Tale gibt es fast nichts, das irgendwie erträglich wäre. Die Innenansicht einer totalitären Gesellschaft, in der das Individuum nicht zählt, sondern nur Rädchen im Betrieb des Großen Ganzen zu sein hat, ist nun einmal eine schier unerträgliche Zumutung. Wobei es natürlich unterschiedliche Spielarten totalitärer Systeme gibt, die mehr oder weniger wohlmeinenden Herrscher und Lenker können ihre Untergebenen mehr oder weniger drangsalieren. In Gilead sind religiöse Fundamentalisten am Drücker, die absolute Unterwerfung unter Gottes Gesetze verlangen, die sie extrem streng auslegen. Hier darf definitiv keiner Spaß haben.

Nun will ich an dieser Stelle auch keine Lanze für den ungehemmten und unreflektierten Individualismus brechen, der in unserer Gesellschaft gepredigt und gepflegt wird, zumindest solange dabei die Corona-Regeln befolgt werden. Auch unsere ach so freie und demokratische Gesellschaft spart ebenfalls nicht an Härten und Zumutungen, mit denen sich die Menschen im Alltag auseinander setzen müssen. Bei uns steht es aber jeder und jedem frei, sich aus Einsicht in die Notwendigkeit mit den Gegebenheiten zu arrangieren oder sein Leben aus freien Stücken vor die Wand zu fahren.

Im fiktiven Gilead, das June, nun als Ofjoseph, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nach Kräften bekämpft, geben die sich Machthaber gar nicht erst die Mühe, ihre Untertanen durch Überzeugung gefügig zu machen. Weil sie ja im Besitz der Wahrheit und der Macht sind, üben sie einfach Zwang aus, schlicht und brutal. In diesem Gottesstaat haben die Mächtigen auf Bedrohungen wie Ressourcenverschwendung, Umweltzerstörung und eine daraus resultierende Unfruchtbarkeit der Menschen ebenso einfache wie effektive Antworten gefunden: Sie leben nach alttestamentarischen Vorgaben. Denn in einer gottgefälligen Welt hat jeder und jede einen Platz. Alle sind bescheidene Werkzeuge SEINES Willens, der vollstreckt werden muss.

Dabei ist der Inhalt eines gottgefälligen Lebens in Gilead vom jeweiligen Status abhängig: Für die Mehrzahl der Insassen des Gottesstaates ist ihr Lebensinhalt schlicht, Gott und damit den Mächtigen zu dienen. Sei es als Haus- oder Küchenmagd, sei es als Arbeiter oder Soldat. Die Frauen haben Kinder zu bekommen und aufzuziehen, die Männer haben dafür zu sorgen, dass die Reproduktion sicher gestellt wird. Handmaids wie June sind fruchtbare Frauen, die verdienten Männern in der Hierarchie zur Verfügung gestellt werden, um Kinder zu bekommen. Und weil die Sünde nun einmal in der Welt ist, gibt es auch Jezebels, mit denen sich verdiente Männer vergnügen können, um sich von den Strapazen des Herrschaftsgeschäfts zu erholen.

In einigen Punkten sind die Herren von Gilead durchaus erfolgreich: Durch die Einführung einer Planwirtschaft werden alle Einwohner mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Das Angebot an Konsumgütern wurde stark eingeschränkt, was die Produktion einfacher und effektiver macht. Die Regierung bestimmt, was die Menschen zum Leben brauchen und stellt ihnen entsprechende Produkte zur Verfügung. Sie bestimmt das Verhalten und das Erscheinungsbild, die Frauen der Commander tragen grüne, die Handmaids rote und die Küchenmägde graue Kleider. Die Haare werden unter züchtigen Hauben verborgen, die Ausgehhauben der Handmaids sind so gestaltet, dass sie das Sichtfeld der Trägerinnen auf das unbedingt Nötige einengen. Elektronischer Schnickschnack ist out, dafür gibt es für biologisch erzeugte Lebensmittel in ausreichender Menge für alle. Eine knallharte Absage an den individuellen Konsumwahn muss also nicht unbedingt schlecht sein. Das Problem in Gilead ist die totale Unterordnung unter die herrschende Doktrin, und das ist in diesem Fall Gottes Wille. Wie in jeder anständigen Diktatur ist abweichendes Verhalten prinzipiell verdächtig; die Leute dürfen nichts anderes im Kopf haben als die Erfüllung ihrer Pflicht gegenüber Gott und dem Staat.

Nachdem June es in der dritten Staffel unter den argwöhnischen Augen der Staatsmacht geschafft hat, gemeinsam mit einer verschworenen Gemeinschaft von Hausmägden zahlreiche Kinder nach Kanada auszufliegen, liegt auf der Hand, das die Rache Gileads furchtbar sein wird. Einmal mehr hat June sich für die Sache aufgeopfert, sie hat gemeinsam mit anderen Verschwörerinnen die Soldaten abgelenkt, um den Kindern und einigen Betreuerinnen die Flucht zu ermöglichen. Doch Junes Kampfeswillen ist ungebrochen, sie und ihre Gefährtinnen finden Zuflucht auf einer abgelegenen Farm, deren junge Herrin sich als Bewunderin von June und ihren Aktionen entpuppt.

Aber es ist ebenfalls klar, dass sich eine gesuchte Gruppe von Terroristinnen auf Dauer nicht vor einer zu allem entschlossenen und mit moderner Technik ausgestatteten Staatsmacht verstecken kann. Immerhin können June und ihre Mitstreiterinnen von einem neuen Programm „profitieren“, sie werden nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, als gottlose Sünderinnen hingerichtet, sondern als Arbeitssklavinnen in eine Kolonie geschickt, bis sie bereit sind, neuen Herren neue Kinder zu gebären. Fruchtbare Frauen sind als Ressource zu kostbar, um getötet zu werden.

Das eröffnet neue Perspektiven, auch wenn diese für June und ihre Leidensgefährtinnen mehr als hoffnungslos erscheinen. Die vierte Staffel nimmt sich immer wieder Zeit, mehr über einzelne Charaktere zu erzählen, etwa über Aunt Lydia (Ann Dowd) oder Janine (Madeleine Brewer). Außerdem erfahren wir, dass die Kinder aus Gilead in ihrer neuen Heimat durchaus darunter leiden, aus ihrem alten Leben gerissen zu sein. Hier beweist Junes Freundin Moira (Samira Wiley), der die Flucht nach Kanada früher schon gelungen ist, Verständnis und Feingefühl, sie versteht, was Heimweh bedeutet und findet kreative Lösungen.

Dass die Kritiken für diese Serie von Staffel zu Staffel schlechter werden, finde ich ungerecht, denn die Entwicklung von Handlung und Charakteren ist zwar oft unschön, aber konsequent. Den Zuschauern wird einiges abverlangt, aber bei dem Thema ist klar, dass es hier nicht um angenehme Unterhaltung geht, sondern um das Ausloten von Handlungsoptionen in Extremsituationen. Insofern bleibt The Handmaid’s Tale eine der wichtigsten und spannendsten Serien derzeit.

Beforeigners: Sie waren vorher da

In der ARD-Mediathek gibt es derzeit die norwegische Serie Beforeigners zu sehen. Die Norweger haben ein Händchen für skurrile Serien, ich denke da an Hellfjord, Lilyhammer oder auch die Netflixserie Ragnarök. Nun ist Beforeigners nicht ganz so abgedreht wie die genannten Beispiele, auch wenn die Lilyhammer-Autoren Anne Bjørnstad und Eilif Skodvin wieder mit von der Partie sind. Beforeigners ist einerseits lustiger, andererseits durchaus ernsthafter angelegt; es handelt sich um eine nordische Krimiserie, die gleichzeitig eine entlarvende Gesellschaftssatire ist. 

Serienposter Bef

Der Polizist Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch) ist einer der ersten Norweger, der die Ankunft von Zeitmigranten erlebt. Gerade hat er gemeinsam mit seiner Frau Marie (Agnes Kittelsen) eine teure Eigentumswohnung im Herzen der norwegischen Hauptstadt Oslo erworben, in Sichtweite der ikonischen Oper direkt am Ufer des Oslofjords. Plötzlich tauchen Menschen im Wasser auf, die seltsam gekleidet sind und eine merkwürdige Sprache sprechen. Haaland eilt zum Einsatz, er ist bereit zu helfen.

Die Norweger sind geübt im Umgang mit Migranten aller Art, der Staat funktioniert, die Menschen werden wie alle anderen Ankömmlinge aus aller Welt in Auffanglagern untergebracht und mit lebensnotwendigen Dingen versorgt. Es stellt sich heraus, dass die Neuankömmlinge nordische Menschen sind, sie stammen aus der Steinzeit, aus der Wikingerzeit und aus dem 19. Jahrhundert.

Einige Jahre später haben sich die Dinge gedreht: Haaland wohnt nun allein in seiner großzügigen, aber vernachlässigten Wohnung, ab und zu kommt seine Teenietochter Ingrid (Ylva Bjørkaas Thedin) vorbei. Die ehemals schicke Gegend direkt am Wasser ist herunter gekommen. Denn dort steigen Jahr für Jahr Zehntausende aus dem Meer, die nun als Menschen mit multitemporalem Migrationshintergrund in Norwegen leben werden, ohne wirklich anzukommen.

Parallelgesellschaften sind entstanden, die Steinzeitmenschen grillen Ziegen in den Grünanlagen, Handwerker und Händler aus der Wikingerzeit wickeln ihre Geschäfte am Straßenrand ab. Gut gekleidete Menschen des 19. Jahrhunderts steuern stoisch ihre Kutschen durch den Verkehr, mit Kopfhörern in den Ohren. Haralds Frau Marie ist zu einem Mann aus dem 19. Jahrhundert in eine hübsche Villa im Grünen gezogen, sie hatte zuvor schon eine Vorliebe für hochgeschlossene Rüschenblusen.

Zunehmend entdecken auch moderne Norweger Aspekte der Vergangenheit für sich, den inneren Wikinger, beispielsweise oder sie werden elektrosensibel. Gerade die Konvertiten entpuppen sich, wie auch sonst so oft, als die Radikalsten. Etwa die Neo-Ludditen, die als Nachfahren der Maschinenstürmer des beginnenden 19. Jahrhunderts den technischen Fortschritt ablehnen und mit allen Mitteln bekämpfen. Und so tauchen auch neue Formen des Verbrechens auf, denen die norwegische Polizei noch nicht gewachsen ist. Abhilfe soll unter anderem die Aufnahme von Zeitmigranten in den Polizeidienst schaffen. Alfhildr Enginssdottir (Krista Kosonen) ist die erste Zeitmigrantin, die ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Sie war in der Wikingerzeit eine berühmte Schildmaid und soll nun frischen Wind in die norwegische Polizeiarbeit bringen.

Haaland ist wenig begeistert, dass die Neue (die Lars und seinen KollegInnen ungefähr ein Jahrtausend an Lebenserfahrung voraus hat) ausgerechnet ihm als Assistentin zugeteilt wird. Die beiden werden zu einem weiteren Leichenfund in den Hafen gerufen, offensichtlich ist eine Frau aus der Steinzeit bei der Zeitmigration ertrunken. Doch Haaland entdeckt zum Unwillen seiner altgedienten Kollegen Hinweise an der Leiche, die auf ein Verbrechen schließen lassen. Dank Alfhildr können weitere Ankömmlinge befragt werden, die zur gleichen Zeit angekommen sein müssen wie die tote Frau am Strand. Alfhildr spricht nicht nur die altnordische Sprache, sondern kennt auch die Bräuche und Gewohnheiten der lang vergangenen Zeit. Das ist sehr praktisch und hilfreich, genau wie die Vorgesetzten von Alfhildr sich das vorgestellt haben. 

Allerdings hat dieses Verständnis auch Grenzen, etwa bei Haaland, der sich über seine neue Kollegin lustig macht, als diese berichtet, dass die anderen Zeitmigranten im Wasser ein altbekanntes nordisches Monster gesehen hätten, das vermutlich mit dem Tod der Frau zu tun hat. Allerdings stellt sich später heraus, das dieses angebliche Monster tatsächlich auf eine Spur hinweist, die das Ermittlerduo entscheidend weiter bringen wird…

Beforeigners ist definitiv eine der besten Serien, die im deutschen Fernsehen derzeit zu sehen sind. So viel subtiler Humor ist selten, es gibt zahlreiche liebevolle Details, etwa die Ausstellung zur Neuen Sicht auf die Höhlenmalerei im Osloer Museum oder Oprah-Winfrey-Zitate, mit denen Alfhildr alte Weisheiten neu verpackt. Und immer wieder die kleinen, feinen Spitzen gegen die aktuell grassierende Überkorrektheit in so vielen Dingen, mit der eine Auseinandersetzung mit den darunter liegenden, echten Problemen wohlfeil vermieden wird.

Ob das nun die Tatsache ist, dass Zimt den Grundgeschmack von Gerstengrütze zerstört oder dass im Museum bei potenziell traumatisierenden Gemälden historischer Ereignisse entsprechende Warnhinweise auf Altnordisch und Mesolithisch fehlen. So rastet Urd (Ágústa Eva Erlendsdóttir), eine Schildmaid-Kollegin von Alfhildr, komplett aus, als sie realisiert, dass ihr alter Widersacher Olaf der Dicke inzwischen als Olaf der Heilige verehrt wird. Wie kann man nur an einen Gott glauben, der sich an ein Kreuz nageln lässt, statt heldenhaft zu kämpfen?!

Überhaupt der ganze Themenkomplex Migration, der hier doppelt absurd vorgeführt wird, zum einen, weil die moderne norwegische Gesellschaft sich ja vorbildlich auf die Neuankömmlinge einstellt, und zwar nicht nur mit der Bildung einer speziellen Behörde. Trotzdem gibt es die unverbesserlichen Fremdenfeinde, die „Beforeigners go home“ an die Wände schmieren, in völliger Verkennung, was ihr Spruch „Norwegen den Norwegern“ in diesem Fall tatsächlich bedeutet. Schließlich sind die anderen, die „nach Hause gehen“ sollen, schon viel länger hier gewesen. Ich wünsche mir Vergleichbares auch für die hiesige Serienproduktion. Stoff genug wäre auf jeden Fall vorhanden.

The Head: Kopflos am Südpol

Wer den Professor (Álvaro Morte) aus der spanischen Erfolgsserie Haus des Geldes einmal in einer anderen Rolle sehen möchte, hat derzeit mit The Head eine Möglichkeit dazu. Der international produzierte Sechsteiler von Hulu, HBO Asia und Mediapro spielt in der Antarktis. Im (derzeit noch) ewigen Eis des kalten Kontinents trotzt ein Team von Wissenschaftlerinnen und Technikern (oder müsste ich jetzt genderneutral „Wissenschaftlers und Technikers“ schreiben?) der sechs Monate währenden Dunkelheit, die der antarktische Winter mit sich bringt. Die Expeditionsmitglieder haben sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben.

Serienposter The Head Bild via Serienjunkies.de

Als der Frühling anbricht, kommt das Sommer-Team mit bösen Vorahnungen zur Ablösung, denn die Station Polaris VI war seit einigen Wochen nicht mehr per Funk zu erreichen. Die Ablösung findet eine verwüstete Station und nur eine Überlebende vor, die junge Ärztin Maggie Mitchell (Katherine O’Donnelly), die offensichtlich schwer traumatisiert ist. Die anderen aus der Wintergruppe sind tot oder verschwunden. Der neue Teamleiter Johan Berg (Alexander Willaume) ist persönlich betroffen, seine Frau, die Biologin Annika Lundquist (Laura Bach) gehörte zur Winterbesatzung. Sie ist verschollen.

Zu den Überlebenden zählt auch der wissenschaftliche Leiter der Station, Arthur Wilde (John Carroll Lynch), der in desolatem Zustand aufgefunden wird und wüste Beschuldigungen gegen Maggie hervorbringt. Die Sommer-Crew muss nun herausfinden, was vorgefallen ist, denn bis die Polizei die Forschungsstation Polaris VI erreichen kann, wird es noch eine ganze Weile dauern.

Johan weiß, dass Annika Arthur nicht über den Weg getraut hat, weil der Brite einer jener Chefs ist, die eine Teamleistung gern für sich selbst beanspruchen, um auf der Karriereleiter empor zu klettern. Gemeinsam mit dem neuen Stationsarzt Micke Karlsson (Andreas Rothlin Svensson) versucht Johan, das Vorgefallene zu rekonstruieren. Dumm nur, dass Maggie sich an kaum etwas erinnern kann. Vor allem hofft Johan, seine Frau Annika noch lebend zu finden. Doch je mehr Zeit vergeht, desto geringer werden ihre Überlebenschancen, die Gegend um Polaris VI ist der kälteste Ort der Welt.

Die Serie ist wie ein Puzzle konstruiert, das die Sommer-Crew zusammensetzen muss. In Rückblenden erfahren die Zuschauer, was sich in den vergangenen Monaten in der Forschungsstation abgespielt hat. Allerdings gibt es unterschiedliche Versionen der Ereignisse. Arthur erzählt eine ganz andere Geschichte als Maggie, die sich mit der Zeit an immer mehr Bruchstücke erinnern kann.

Den Anfang scheint der Horrotrip mit dem mysteriösen Tod des Technikers Nils Hedlund genommen zu haben, der für den Funk und damit für die Verbindung der Forschungsstation zur Außenwelt, zuständig war. Nach dem Nils im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf verloren hat, ist die Wintercrew vom Rest der Welt abgeschnitten und verfällt in Panik: Unter den verbliebenen Besatzungsmitgliedern muss sich der Mörder befinden. Es ist nahezu unmöglich, dass sich jemand unter den extremen Klimabedingungen des antarktischen Winters von Außen an die Station herangeschlichen hat, um dort sein Unwesen zu treiben.

Verdächtig ist erstmal jede und jeder, allerdings scheinen die drei neuen dieser Wintercrew, neben der Ärztin Maggie sind das der japanische Biologe Aki Kobayashi (Tomohisa Yamashita) und die sportliche Computer-Spezialistin Heather Blake (Amelia Hoy) aus Texas allesamt relativ unverdächtig zu sein. Zumal Heather und Aki zu den Opfern gehören.

Tot sind auch der Kommandant der Forschungsstation Erik Osterland (Richard Sammel), der eine etwas zweifelhafte Vergangenheit beim Militär aufweist, und Ramón Lazaro (Morte), der Koch der Crew. Warum verfügte der offenbar sehr belesene Koch über ein Handy, das mit einer 256-Bit-Verschlüsselung auf Militärniveau gesichert ist? Und dann ist da noch Ebba Ullman (Sandra Andreis), eine Krankenschwester, die bereits mehrere Winter in der Antarktis verbracht hat. Ebba ist Mutter von zwei Kindern und hatte offenbar eine Affäre mit Erik.

Mir hat dieser klaustrophobische Thriller ziemlich gut gefallen, er erinnerte mich an Science-Fiction-Filme, in denen sich eine Raumschiff-Crew, die nach und nach dezimiert wird, gegen extraterrestrische Bedrohungen oder ihren eigenen Bordcomputer wehren muss. Polaris VI sieht genau so aus wie eine Raumstation, das Design ist zweckmäßig und soll das Überleben der Crew unter lebensfeindlichen Bedingungen sichern. Lebensmittel, warmes Wasser und so weiter sind streng rationiert, immerhin sind am Südpol Wasser- und Sauerstoffversorgung kein Problem, die Energieversorgung hingegen schon.

Auffällig fand ich bei dieser Serie im Vorfeld vor allem, dass die Kritiker in den üblichen Publikationen bei dieser Produktion relativ schlampig und/oder lustlos gearbeitet haben, denn mal befindet sich die Station in der Nähe vom Nordpol, mal wird der Funker Miles ohne Kopf im Schnee gefunden. Nein, es ist der Südpol und es ist Nils. Mir wird zwar gern vorgeworfen, dass ich mich zu sehr über den Inhalt der von mir hier vorgestellten Serien verbreite, aber Inhalt finde ich nun mal extrem wichtig. Immerhin kann ich versichern, dass ich sämtliche Serien und Filme, die ich hier beschreibe, tatsächlich gesehen habe. Und wenn ich mich ausführlich über den Inhalt äußere, fand ich daran offenbar etwas entsprechend bemerkenswert.

Wobei ich durchaus verstehen kann, dass man nicht alles gesehen haben kann, worüber man schreiben muss, wenn man damit seinen Lebensunterhalt verdient. Unter anderem deshalb habe ich den Job gewechselt. Ich schreibe hier nicht für Geld, sondern aus Vergnügen. Und nur, wenn ich Lust dazu habe. Denn gerade fällt mir auf, dass ich gar nichts zu The Terror geschrieben habe, einer Serie, die eine Expedition der Schiffe HMS Erebus und HMS Terror beschreibt, die im Jahr 1846 im Auftrag der Royal Navy die Nordwestpassage finden sollten. Also den Seeweg vom atlantischen zum pazifischen Ozean, nördlich des amerikanischen Kontinents. Diese Serie, genauer die erste Staffel, die genau davon handelt, fand ich faszinierend, viel Eis, brutale Kälte und Einsamkeit, die Besatzungen der Forschungsschiffe fallen nach und nach Krankheiten und Wahnvorstellungen zum Opfer. Das ist die Kategorie, in die ich The Head einordnen würde.

Haus des Geldes-Fans werden vielleicht enttäuscht sein, zum einen, weil Ramon eben nur ein Crew-Mitglied ist und nicht der geniale Kopf hinter einem perfekten Verbrechen. Zum anderen, weil The Head ganz anders angelegt ist, die Geschichte ist mit den sechs Teilen dann auch wirklich erzählt, wobei es durchaus interessante Wendungen gibt. The Head ist ein Kammerspiel in einer sehr reduzierten Umgebung, es gibt die Forschungsstation und sehr viel Eis und Schnee, draußen ist es meistens dunkel. Trotzdem gibt es reichlich Angst, Gewalt und Schrecken, also nicht gerade die ideale Familienunterhaltung. Aber für alle Freunde des gepflegten Wissenschaftshorrors durchaus sehenswert.

Bridgerton: Anachronismus in Serie

Bridgerton ist angeblich eine der erfolgreichsten Netflixserien bisher, insofern muss ich hier auch einige Worte dazu verlieren. Denn ich finde sie ehrlich gesagt nicht besonders gut. Ja, sie ist herrlich quietschbunt, süffig und hübsch garniert wie ein sommerlicher Cocktail. Aber wie nach dem Genuss von allzu vielen Cocktails hat man hinterher Läuse im Bauch und einen schweren Kopf. Die Serie ist komplett aus der Zeit gefallen, ach was, völlig anachronistisch, und man kann sich zu Recht fragen, was das alles soll.

Es geht um die wunderschöne, junge Daphne (Phoebe Dynevor), die älteste Tochter der angesehenen Adelsfamilie Bridgerton, die im Jahr 1813 ihr gesellschaftliches Debüt in London erlebt. Die Bridgertons benennen ihre Kinder nach dem Alphabet, Daphne ist die älteste Tochter, sie hat drei ältere Brüder, Anthony, Benedict und Colin, sowie vier jüngere Geschwister, Eloise, Francesca, Gregor und Hyacinth.

Die Familie Bridgerton. Bild: Netflix via serienjunkies.de

Daphne kommt also auf den Heiratsmarkt, denn das ist die Bestimmung höherer Töchter: Sie soll durch eine vorteilhafte Verbindung das Vermögen und das Ansehen der Familie vermehren. Anfangs sieht es so aus, als habe sie richtig gute Karten: Sie hat bereits einen bedeutenden Namen und die Queen fand Daphne bei ihrer Präsentation makellos.

Doch leider gibt es viel Konkurrenz, etwa die Familie Featherington, die gleich drei Töchter unter die Haube bringen muss, nämlich Prudence, Philippa und Penelope. Und dann gibt es noch dieses unselige Klatschblatt jener mysteriösen Lady Whistledown, die mit dem Ausplaudern gewisser Dinge, die man lieber unter den Teppich gekehrt hätte, Einfluss auf die Londoner Society nimmt. Lady Whistledown fungiert auch als Erzählerin, sie wird im englischen Original von Julie Andrews gesprochen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Handlung rankt sich um die Spekulationen, wer sich hinter diesem Namen verbergen könnte.

Für Daphne läuft es entgegen der hochfliegenden Erwartungen nicht so gut, ihr ältester Bruder will sie schließlich mit einem wenig attraktiven Bewerber verheiraten, der immerhin über ein gewisses Vermögen verfügt. Daphne ist entsetzt, bei allem Pflichtbewusstsein träumt sie doch von einer romanischen Beziehung, ihrer Vorstellung nach sollte die Ehe irgendwie mit Liebe zu tun haben. Und diesen viel älteren Mann, den ihr Bruder nun präsentiert, kann und will Daphne nicht als Ehemann und Vater ihrer Kinder akzeptieren.

Bridgerton: Simon (Regé-Jean Page) und Daphne (Phoebe Dynevor) Bild: Netflix via gq-magazin.de

Um dieser Verbindung zu entgehen, beschließt Daphne, eine Romanze mit dem ebenso attraktiven, wie reichen Simon Basset, Duke of Hastings (Regé-Jean Page) vorzutäuschen. Simon ist ein Freund ihres ältesten Bruders. Er wäre natürlich eine glänzende Partie, dummerweise hat er aber geschworen, niemals zu heiraten und keine Kinder zu bekommen. Immerhin wird Daphne durch diesen Trick wieder für weitere Bewerber interessant: Wenn der Duke of Hastings sich für die kleine Bridgerton interessiert, dann muss an ihr etwas besonders sein. Sogar Kronprinz Friedrich wird auf Daphne aufmerksam.

Natürlich passiert in den acht Folgen der ersten Staffel auch sonst noch einiges, Anthony hat eine Affäre mit einer Opernsängerin, die mit der Situation allerdings wenig glücklich ist, denn es ist klar, dass Anthony als ältester Sohn den Viscount-Titel und die damit verbundenen Pflichten des Vaters erbt und seinerseits eine standesgemäße Ehefrau finden muss. Der zweitälteste Bruder Benedict erfreut sich hingegen der Vorzüge seiner Position, weil er nicht den strengen gesellschaftlichen Regeln unterworfen ist und Maler werden möchte. Colin, der mit Penelope Featherington befreundet ist, träumt davon, eine große Reise durch Europa zu machen. Er verlobt sich mit Marina Thompson, einer ungeliebten Kusine der Featheringtons, aber diese Verbindung scheitert.

Eloise (Claudia Jessie) und Penelope (Nicola Coughlan) Bild: Netflix via Serienjunkies.de

Die interessanteste Figur ist meiner Ansicht nach Eloise Bridgerton (Claudia Jessie). Eloise will sich nicht den gesellschaftlichen Erwartungen beugen. Sie will nicht heiraten, sondern frei und selbstbestimmt bleiben. Sie kleidet sich eigenwillig und hat sich in den Kopf gesetzt, die Identität von Lady Whistledown zu enthüllen, die sie bewundert, weil diese Frau ganz offensichtlich in der Lage ist, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. So etwas würde Eloise gern für ihr eigenes Leben verwirklichen.

Damit bin ich beim problematischsten Aspekt dieser Serie: Die Hauptfigur (und so ziemlich alle weiteren Figuren, bis auf Eloise und vermutlich jene mysteriöse Lady Whistledown) ist der Ansicht, dass die höchste Erfüllung einer Frau in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter zu finden ist. Daphnes ganze Energie ist der Erfüllung dieses Ideals gewidmet. Ihr geht es darum, einen möglichst attraktiven und gut situierten Ehemann zu finden, um sich an seiner Seite ganz ihm und seinem Wohlbefinden, dem Haushalt und den Kindern zu widmen. Das ist der Plot einer Serie aus dem Jahr 2020!!!

Immerhin kann man der Serie zugute halten, dass hier niemand zur Belustigung des Publikums sterben muss, die Skandale und Skandälchen der High Society in der Zeit der britischen Regency sorgen innerhalb des Bridgerton-Kosmos zwar für eine Menge Aufregung, sind aber aus heutiger Sicht größtenteils harmlos. Wobei, dass ein böswillig gestreutes Gerücht Existenzen zerstören kann, ist im Zeitalter von Social Media leider erschreckend aktuell. Vielleicht ist in der Serie doch mehr Ironie enthalten, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das tatsächlich so gemeint war.

Queen Charlotte (Golda Rosheuvel) Bild: Netflix via serienjunkies.de

Insgesamt bin ich auch sonst kein großer Fan von Shondaland-Serien. Auch wenn ich How To Get Away With Murder insgesamt ziemlich spannend fand, insbesondere, weil sich die Hauptfigur über die verschiedenen Staffeln hinweg weitgehend selbst demontiert. Scandal hingegen war mir zu schrill, zu aufgeregt, irgendwie zu US-amerikanisch. In gewisser Weise trifft das auch auf Bridgerton zu, auch wenn diese Serie in Großbritannien spielen soll. Es gibt auch in Bridgerton viele der für Shonda Rhimes typischen, spektakulären, aber nicht unbedingt nachvollziehbaren Plottwists, um für mehr Spannung zu sorgen. Mir geht das allerdings ziemlich auf die Nerven, weil in der Regel ganz klar ist, wie die Sache am Ende ausgehen muss, weshalb es dann doch kaum echte Überraschungen gibt.

Andererseits finde ich gerade bei Bridgerton cool, wie sehr sich diese Serie über angebliche Authentizität von Historienserien hinwegsetzt. Der Cast ist bewusst divers gehalten, so sind beispielsweise Queen Charlotte, Simon Basset und weitere Hauptfiguren, die keine Diener oder Hausangestellte sind, sondern Geld und Einfluss haben, mit People of Color besetzt. Natürlich ist eine Historienserie in erster Linie ein Produkt eben jener Zeit, in der sie entstanden ist. Insofern finde ich gut, dass Black Live Matter sich in aktuellen Serienproduktionen niederschlägt. Aber wenn man das schon tut, stellt sich erst recht die Frage, warum das Frauenbild dieser Serie so dermaßen vorgestrig bleibt.

Ich sehe wirklich gern Historienserien, etwa Vikings, was ehrlich gesagt eher eine Fantasy-Serie als ein Historiendrama ist, oder The Last Kingdom, das deutlich bodenständiger daher kommt. Ganz toll natürlich auch The Crown, insbesondere die neue Staffel. Das ist Historiendrama vom Feinsten. Wer eine unterhaltsame Anti-Historienserie mit tollen Kostümen und schrägen Figuren sehen möchte, ist mit der Hulu-Produktion The Great besser bedient als mit Bridgerton. Je länger ich nachdenke, desto mehr Serien fallen mir ein, die ich besser finde als dieses Netflix-Produkt. Aber was solls. Man kann sich Bridgerton durchaus an einem regnerischen Wochenende mal ansehen, ich habe es ja auch getan. Aber so richtig empfehlen kann ich es nicht.

Vongozero – Flucht zum See

So wie es aussieht, wird dieser Herbst und Winter eine gute Zeit, um Serien zu kucken, sehr viel anderes darf man derzeit in seiner Freizeit ja kaum tun. Weil mich immer interessiert, was bei uns weniger bekannte Serienländer so produzieren, bin ich bei Netflix über Vongozero – Flucht zum See (To The Lake) gestolpert, eine russische Katastrophenserie, die erschreckend gut in diese Zeit passt. Der russische Originaltitel lautet Epidemia.

Vongozero - Flucht zum See Bild: Premiere via cinemaescapist.com
Vongozero – Flucht zum See Bild: Premiere via cinemaescapist.com

Ein bisher unbekannter Virus breitet sich in Moskau aus. Er befällt vor allem die Lunge, die Menschen beginnen zu husten, spucken Blut, erblinden und sterben innerhalb kurzer Zeit. Die Erstausstrahlung war im November 2019, somit noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Insofern dürften Ähnlichkeiten zufällig sein, andererseits warnen einschlägige Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor einem solchen Ereignis. So richtig überraschen sollte ein solches Szenario also nicht, schließlich gab es in der Vergangenheit immer wieder derartige Ereignisse, etwa die „Spanische“ Grippe vor hundert Jahren oder die Pestepidemie im 14. Jahrhundert. Am „schwarzen Tod“ starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung. An den Haaren herbeigezogen sind derartige Katastrophen also nicht, aber kein normaler Mensch kann oder will sich so etwas vorstellen. Deshalb sind dann doch alle wieder extrem überrascht, wenn es tatsächlich passiert, obwohl man es doch eigentlich besser wissen müsste. Auch davon handelt diese Serie.

In Vongozero folgen wir der Familie von Sergej (Kirill Käro), der mit seiner Frau Anna (Viktoria Isakova) und seinem Stiefsohn Mischa (Eldar Kalimulin) in einem schönen Haus in einem angenehmen Vorort der russischen Hauptstadt Moskau lebt. Ihr Nachbar ist der wohlhabende, aber vulgäre Lyonya (Aleksander Robak), der sich nach dem Tod seiner Frau mit einer hübschen, viel jüngeren Frau (Natalya Zemtova als Marina) getröstet hat, was ihm seine rebellische Teenagertochter Polina (Viktoria Agalakova) offensichtlich übel nimmt.

Als nach Ausbruch der Seuche Sergejs Vater Boris (Yuri Kuznetsow) auftaucht und darauf dringt, die Familie in Sicherheit zu bringen, stellt sich heraus, dass auch Sergej Leichen im Keller hat: Er will erst nach Moskau, um seine Exfrau Irina (Maryana Spivak) und seinen leiblichen Sohn Anton zu retten. Sergej und sein Vater haben kein gutes Verhältnis, doch Boris, der in Sowjetzeiten als Mathematiker an Plänen zur Bekämpfung von Epidemien gearbeitet hat, weiß, wie dramatisch die Situation ist. Er will seinen Sohn und dessen Familie überzeugen, mit ihm in sein abgelegenes Feriendomizil an einem See in den karelischen Wäldern zu fliehen, um die Epidemie dort zu überstehen.

Vongozero Flucht zum See, Serienposter Bild: Premiere via cinemaescapist.com

Schließlich brechen die drei sehr unterschiedlichen Familien gemeinsam auf, Konflikte sind vorprogrammiert. Insbesondere für Sergej, der zwischen seiner Ex und seiner aktuellen Frau hin- und hergerissen ist. Aber auch bei Lyonya und seiner hochschwangeren Marina ist lange nicht klar, wo ihre Loyalitäten wirklich liegen. Die beiden haben sich jeweils aus widrigen Verhältnissen hochgearbeitet und denken in erster Linie an sich selbst. So müssen sie erst wieder neu lernen, dass es in Krisensituationen auf Solidarität und Verlässlichkeit ankommt. Polina sieht die beiden von Anfang an sehr kritisch und entwickelt ein eigenes Verhältnis zu Mischa, dem autistischen Sohn von Anna.

Es geht in der Serie also vor allem um gruppendynamische Prozesse innerhalb einer Zwangsgemeinschaft von Menschen, die sich nicht unbedingt gut leiden können, aber für das gemeinsame Überleben auf einander angewiesen sind. Was mir gut gefallen hat, waren die unterschiedlichen Einblicke in die russische Gesellschaft. Es gibt den luxuriösen Lebensstil der gehobenen Mittelschicht rund um die Hauptstadt Moskau, aber eben auch die weniger glücklichen Existenzen, die täglich um ihr Überleben kämpfen müssen. Die einen leben hinter dicken Stahltüren in ihren Moskauer Appartements, die anderen auf dem Land in schlichten Holzhäusern.

Immer wieder gibt es Begegnungen unterschiedlichster Art: Während die einen versuchen, aus der Notlage der anderen Kapital zu schlagen, und notfalls bereit sind, über Leichen zu gehen, gibt es auch freundliche Helfer und mutige Menschen, die einfach das Richtige tun wollen. Und dann gibt es natürlich den russischen Winter und die Landschaft, unendliche Wälder, in denen man verloren gehen, aber möglicherweise auch überleben kann. Für mich auf jeden Fall eine der spannenderen Netflixserien derzeit.