The Head: Kopflos am Südpol

Wer den Professor (Álvaro Morte) aus der spanischen Erfolgsserie Haus des Geldes einmal in einer anderen Rolle sehen möchte, hat derzeit mit The Head eine Möglichkeit dazu. Der international produzierte Sechsteiler von Hulu, HBO Asia und Mediapro spielt in der Antarktis. Im (derzeit noch) ewigen Eis des kalten Kontinents trotzt ein Team von Wissenschaftlerinnen und Technikern (oder müsste ich jetzt genderneutral „Wissenschaftlers und Technikers“ schreiben?) der sechs Monate währenden Dunkelheit, die der antarktische Winter mit sich bringt. Die Expeditionsmitglieder haben sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben.

Serienposter The Head Bild via Serienjunkies.de

Als der Frühling anbricht, kommt das Sommer-Team mit bösen Vorahnungen zur Ablösung, denn die Station Polaris VI war seit einigen Wochen nicht mehr per Funk zu erreichen. Die Ablösung findet eine verwüstete Station und nur eine Überlebende vor, die junge Ärztin Maggie Mitchell (Katherine O’Donnelly), die offensichtlich schwer traumatisiert ist. Die anderen aus der Wintergruppe sind tot oder verschwunden. Der neue Teamleiter Johan Berg (Alexander Willaume) ist persönlich betroffen, seine Frau, die Biologin Annika Lundquist (Laura Bach) gehörte zur Winterbesatzung. Sie ist verschollen.

Zu den Überlebenden zählt auch der wissenschaftliche Leiter der Station, Arthur Wilde (John Carroll Lynch), der in desolatem Zustand aufgefunden wird und wüste Beschuldigungen gegen Maggie hervorbringt. Die Sommer-Crew muss nun herausfinden, was vorgefallen ist, denn bis die Polizei die Forschungsstation Polaris VI erreichen kann, wird es noch eine ganze Weile dauern.

Johan weiß, dass Annika Arthur nicht über den Weg getraut hat, weil der Brite einer jener Chefs ist, die eine Teamleistung gern für sich selbst beanspruchen, um auf der Karriereleiter empor zu klettern. Gemeinsam mit dem neuen Stationsarzt Micke Karlsson (Andreas Rothlin Svensson) versucht Johan, das Vorgefallene zu rekonstruieren. Dumm nur, dass Maggie sich an kaum etwas erinnern kann. Vor allem hofft Johan, seine Frau Annika noch lebend zu finden. Doch je mehr Zeit vergeht, desto geringer werden ihre Überlebenschancen, die Gegend um Polaris VI ist der kälteste Ort der Welt.

Die Serie ist wie ein Puzzle konstruiert, das die Sommer-Crew zusammensetzen muss. In Rückblenden erfahren die Zuschauer, was sich in den vergangenen Monaten in der Forschungsstation abgespielt hat. Allerdings gibt es unterschiedliche Versionen der Ereignisse. Arthur erzählt eine ganz andere Geschichte als Maggie, die sich mit der Zeit an immer mehr Bruchstücke erinnern kann.

Den Anfang scheint der Horrotrip mit dem mysteriösen Tod des Technikers Nils Hedlund genommen zu haben, der für den Funk und damit für die Verbindung der Forschungsstation zur Außenwelt, zuständig war. Nach dem Nils im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf verloren hat, ist die Wintercrew vom Rest der Welt abgeschnitten und verfällt in Panik: Unter den verbliebenen Besatzungsmitgliedern muss sich der Mörder befinden. Es ist nahezu unmöglich, dass sich jemand unter den extremen Klimabedingungen des antarktischen Winters von Außen an die Station herangeschlichen hat, um dort sein Unwesen zu treiben.

Verdächtig ist erstmal jede und jeder, allerdings scheinen die drei neuen dieser Wintercrew, neben der Ärztin Maggie sind das der japanische Biologe Aki Kobayashi (Tomohisa Yamashita) und die sportliche Computer-Spezialistin Heather Blake (Amelia Hoy) aus Texas allesamt relativ unverdächtig zu sein. Zumal Heather und Aki zu den Opfern gehören.

Tot sind auch der Kommandant der Forschungsstation Erik Osterland (Richard Sammel), der eine etwas zweifelhafte Vergangenheit beim Militär aufweist, und Ramón Lazaro (Morte), der Koch der Crew. Warum verfügte der offenbar sehr belesene Koch über ein Handy, das mit einer 256-Bit-Verschlüsselung auf Militärniveau gesichert ist? Und dann ist da noch Ebba Ullman (Sandra Andreis), eine Krankenschwester, die bereits mehrere Winter in der Antarktis verbracht hat. Ebba ist Mutter von zwei Kindern und hatte offenbar eine Affäre mit Erik.

Mir hat dieser klaustrophobische Thriller ziemlich gut gefallen, er erinnerte mich an Science-Fiction-Filme, in denen sich eine Raumschiff-Crew, die nach und nach dezimiert wird, gegen extraterrestrische Bedrohungen oder ihren eigenen Bordcomputer wehren muss. Polaris VI sieht genau so aus wie eine Raumstation, das Design ist zweckmäßig und soll das Überleben der Crew unter lebensfeindlichen Bedingungen sichern. Lebensmittel, warmes Wasser und so weiter sind streng rationiert, immerhin sind am Südpol Wasser- und Sauerstoffversorgung kein Problem, die Energieversorgung hingegen schon.

Auffällig fand ich bei dieser Serie im Vorfeld vor allem, dass die Kritiker in den üblichen Publikationen bei dieser Produktion relativ schlampig und/oder lustlos gearbeitet haben, denn mal befindet sich die Station in der Nähe vom Nordpol, mal wird der Funker Miles ohne Kopf im Schnee gefunden. Nein, es ist der Südpol und es ist Nils. Mir wird zwar gern vorgeworfen, dass ich mich zu sehr über den Inhalt der von mir hier vorgestellten Serien verbreite, aber Inhalt finde ich nun mal extrem wichtig. Immerhin kann ich versichern, dass ich sämtliche Serien und Filme, die ich hier beschreibe, tatsächlich gesehen habe. Und wenn ich mich ausführlich über den Inhalt äußere, fand ich daran offenbar etwas entsprechend bemerkenswert.

Wobei ich durchaus verstehen kann, dass man nicht alles gesehen haben kann, worüber man schreiben muss, wenn man damit seinen Lebensunterhalt verdient. Unter anderem deshalb habe ich den Job gewechselt. Ich schreibe hier nicht für Geld, sondern aus Vergnügen. Und nur, wenn ich Lust dazu habe. Denn gerade fällt mir auf, dass ich gar nichts zu The Terror geschrieben habe, einer Serie, die eine Expedition der Schiffe HMS Erebus und HMS Terror beschreibt, die im Jahr 1846 im Auftrag der Royal Navy die Nordwestpassage finden sollten. Also den Seeweg vom atlantischen zum pazifischen Ozean, nördlich des amerikanischen Kontinents. Diese Serie, genauer die erste Staffel, die genau davon handelt, fand ich faszinierend, viel Eis, brutale Kälte und Einsamkeit, die Besatzungen der Forschungsschiffe fallen nach und nach Krankheiten und Wahnvorstellungen zum Opfer. Das ist die Kategorie, in die ich The Head einordnen würde.

Haus des Geldes-Fans werden vielleicht enttäuscht sein, zum einen, weil Ramon eben nur ein Crew-Mitglied ist und nicht der geniale Kopf hinter einem perfekten Verbrechen. Zum anderen, weil The Head ganz anders angelegt ist, die Geschichte ist mit den sechs Teilen dann auch wirklich erzählt, wobei es durchaus interessante Wendungen gibt. The Head ist ein Kammerspiel in einer sehr reduzierten Umgebung, es gibt die Forschungsstation und sehr viel Eis und Schnee, draußen ist es meistens dunkel. Trotzdem gibt es reichlich Angst, Gewalt und Schrecken, also nicht gerade die ideale Familienunterhaltung. Aber für alle Freunde des gepflegten Wissenschaftshorrors durchaus sehenswert.