In letzter Zeit sehe ich aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr so viel fern. Darüber bin ich ziemlich froh, denn ich habe tatsächlich Besseres zu tun. Außerdem gibt es inzwischen dermaßen viele neue Serien, dass es selbst für ausgesprochene Serienjunkies nicht mehr möglich ist, den Überblick zu behalten. Mag sein, dass die eine oder andere Serienperle in der Masse neuer Angebote zu finden ist, aber ich habe weder die Zeit, noch Lust dazu, mir das alles reinzuziehen.
Insofern bleibe ich lieber beim Bewährten, es gibt ja neue Staffeln von vielen Lieblingsserien, etwa die finale Staffel von Better Call Saul, die ein echtes Highlight ist, die finale Staffel von This is Us, eine weitere Staffel von Ozark, und es gibt auch Neues von Bosch, der in Bosch – Legacy kein Cop mehr ist, sondern als nun Privatdetektiv in scheinbar aussichtslosen Fällen hartnäckig weiter ermittelt. Dafür tritt seine Tochter Maddy in Papas Fußstapfen und bewirbt sich beim LAPD.
Außerdem hatte ich über den Winter noch ein größeres Projekt laufen: Ich habe mir tatsächlich Sons of Anarchy angesehen, was immerhin 92 Folgen in sieben Staffeln sind, die von 2008 bis 2014 erschienen sind. Um ganz ehrlich zu sein: Zu meinen Serienhighlights wird SOA niemals gehören, weil mir diese Art Verbrecherwelt, die in der Serie beschrieben wird, einfach zu fremd ist. Diese Männerbündelei mit ihren rigorosen Regeln und einem mittelalterlichen Ehrenkodex finde ich abstoßend. Das ist auch mein Problem mit Mafiaserien wie Die Sopranos oder Gomorrha. Wobei Die Sopranos eine ironische Metaebene hat, die mir dann doch wieder ganz gut gefallen hat: Dass ein Mafiaboss über seinen Alltag mit nervigen Schulkindern, einer anspruchsvollen Ehefrau und seinem brutalen Business depressiv wird und eine Psychiaterin aufsucht, ist ein origineller Ansatz.
So lustig geht es in Sons of Anarchy nicht zu. Diese Serie ist Drama pur, Gewalt, Drogen und Sex, Ehre, Blut und Familie. Immerhin gibt es mit Jackson „Jax“ Teller (Charlie Hunnam) eine vergleichsweise sympathische Hauptfigur. Jax ist Vizepräsident des titelgebenden Motorradclubs, der von seinem Stiefvater Clay Morrow (Ron Perlman) geführt wird. Jax lebt und atmet für den Club, fängt aber an, die Methoden seines Stiefvaters zu hinterfragen, insbesondere, nachdem er ein Manuskript findet, das sein leiblicher Vater hinterlassen hat. John Teller war mit der Entwicklung des MC offenbar unglücklich und kam unter ungeklärten Umständen zu Tode.
Wie es sich für ein ordentliches Drama gehört, kommen nach und nach viele dunkle Dinge ans Licht. Jax ist im Grunde ein verhinderter Intellektueller, der immer wieder lesend, schreibend und mit Brille gezeigt wird, obwohl er doch nur ein mittelguter Mechaniker ist, wie er über sich selbst sagt. Er würde gern an die Grundidee des Clubs anknüpfen, die irgendwas mit Freiheit und Selbstverwirklichung zu tun hatte, statt das kriminelle Alltagsgeschäft zu betreiben, mit dem der Club den Unterhalt seiner Mitglieder verdient. Offiziell betreibt der MC im fiktiven nordkalifornischen Ort Charming eine Motorrad- und Autowerkstatt, die von Jax’ Mutter und Clays Ehefrau Gemma ( Katey Sagal) geleitet wird. Das eigentliche Geschäft der Sons sind allerdings Schutzgelderpressung, Waffen- und Drogenhandel, später kommen auch noch Prostitution und die Produktion von Pornos dazu.
Gelobt wurde an der Serie die realistische Darstellung des Bikermilieus, oder zumindest dieser Art des Bikermilieus. Serienautor Kurt Sutter beteiligte Mitglieder der Hells Angels an der Produktion und einige Nebenrollen werden tatsächlich von echten Mitgliedern der Hells Angels gespielt. Ich kann nicht beurteilen, wie realistisch die Serie tatsächlich ist, aber ich kann sagen, dass mir das alles kein bisschen gefällt. Weshalb habe ich mir die Serie dann trotzdem angesehen?
Vor allem, weil es wirklich interessante Figuren und Entwicklungen gibt. Da ist vor allem Gemma, die Matriarchin des Vereins, die, obwohl Frauen in dieser Welt eigentlich nichts zu sagen haben, die Zügel fest in der Hand hält. Die meisten Mitglieder des MC sind Gemma ergeben und würden alles für sie tun. Gemma ihrerseits tut alles für ihre Familie, zu der auch die langjährigen Clubmitglieder gehören. Dabei verfolgt sie immer wieder ihre eigenen Interessen, Gemma ist eine geschickte Manipulatorin. Mit Dr. Tara Knowles (Maggie Siff) bekommt sie allerdings eine ebenbürtige Gegenspielerin.
Tara ist die Jugendliebe von Jax, der, nachdem Tara die Stadt verlassen hat, um Medizin zu studieren, Wendy (Drea de Matteo) geheiratet hat. Wendy ist einfacher gestrickt und passt ins Milieu, allerdings ist sie drogenabhängig, weshalb ihr und Jax gemeinsamer Sohn als Frühchen zur Welt kommt. Tara ist inzwischen nach Charming zurückgekehrt und rettet mit ihrem engagierten Einsatz das Leben dieses Kindes. Jax verlässt Wendy und wendet sich wieder Tara zu, was Gemma überhaupt nicht gefällt. Sie ahnt, dass die kluge und eigenständige Tara eine Bedrohung für sie selbst und für den Club werden könnte.
Im Verlauf der Serie zeigt sich, dass die Rivalität zwischen Gemma und Tara ähnlich komplex ist wie die zwischen Jax und Clay. Die beiden jüngeren wollten alles anders und besser machen, reiben sich aber in den vorhandenen Zwängen auf und übernehmen nach und nach die Methoden, die sie eigentlich ablehnen und zu überwinden hofften. Doch im Gegensatz zu Jax, der in diesem kriminellen Kosmos aufgewachsen ist und nichts anderes kennen gelernt hat, muss Tara erst einmal den Spaß am Regelbruch entdecken. Und während Jax ernsthaft versucht, sich aus dem Umfeld herauszuarbeiten, lässt sich Tara in genau diesen Sumpf hineinziehen.
Es gibt außerdem eine ganze Reihe Nebenhandlungen, die sich um einzelne Clubmitglieder und John Tellers familiäre und geschäftliche Verstrickungen mit Nordirland drehen. Eine wichtige Figur ist auch Chief Wayne Unser, der Polizeichef von Charming, der wegen einer Krebserkrankung pensioniert wird. Er hat mit den Sons eine informelle Übereinkunft über die Sicherheit in Charming getroffen. Der Club garantiert den Frieden innerhalb der Stadt, dafür schaut Unser bei den illegalen Aktivitäten der Biker nicht so genau hin. Allerdings wird dieses Arrangement von anderen Ermittlungs- und Strafverfolgjungsbehörden, etwa der ATF, der DEA oder des FBI immer wieder gestört. Und natürlich gibt es auch rivalisierende Gangs, die eingebunden oder in Schach gehalten werden müssen.
Immerhin eins zeigt diese Serie hingegen ganz klar: Auch die härtesten Anarchos beugen sich den Regeln des kapitalistischen Wirtschaftssystems, denn es geht immer darum, Geld verdienen zu müssen, und zwar möglichst viel davon. Die Sons tun das hauptsächlich mit nicht so richtig legalen Geschäftsmodellen, das ist ihre Form der Anarchie. Und die Ironie der Geschichte ist, dass, je vehementer Jax versucht, aus den kriminellen Machenschaften auszusteigen und den Club wieder in eine andere Richtung zu lenken, desto tiefer wird er in die verbrecherischen Aktivitäten verstrickt. Denn ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Und Jax Teller ist ein Mann. Einer, der seine Kinder liebt, und seine Frau, der seine Mutter ehrt, und der alles für seine Brüder vom MC tut. Aber genau das wird ihm zum Verhängnis.
Insofern passiert eine ganze Menge. Die Serie ist nicht unbedingt unterhaltsam, dafür hat sie zu wenig Humor, aber man kann sich darauf verlassen, dass alles immer die schlimmst mögliche Wendung nimmt. Was mich zunehmend genervt hat, war das Frauenbild, das in dieser Serie gezeigt wird. Ja, es gibt eine ganze Reihe starker Protagonistinnen. Aber keine von ihnen stellt das ja nun wirklich obertoxische Männerbild infrage, das Grundlage und Inhalt der ganzen SOA-Ideologie ist. Ja, schön, am Ende überarbeiten die Sons ihre Satzung und es wird ein erster schwarzer Mann in ihre Reihen aufgenommen, was zuvor undenkbar war.
Aber es gibt keine einzige Frau, die selbst Motorrad fahren darf. Ganz zu schweigen davon, ein vollwertiges Clubmitglied zu werden. Die Mädels haben den Jungs den Rücken frei zu halten, ihre Schwänze zu lutschen und ihnen auch sonst zu Diensten zu sein. Und wenn sie brav sind, dürfen sie auch mal hinten auf dem Bock mitfahren. Und wenn sie schlau sind, dann führen sie eigene Geschäfte und nutzen ihre Weiblichkeit, um aus dem Männer-Business einen Anteil für sich selbst abzuzweigen. Oder wenigstens für die Kinder…
Hallo?! Das ist eine Serie im 21. Jahrhundert. Wenn das ein realistisches Abbild dieser Szene sein soll, dann wünsche ich mir ja fast einen Atomkrieg, damit bitte schön nichts, aber auch gar nichts davon übrig bleibt. Nein, ernsthaft: Das tue ich natürlich nicht. Aber Sons Of Anarchy fühlte sich beim Ansehen streckenweise ähnlich deprimierend an wie The Handmaids Tale. Eine Serie übrigens, die angesichts der aktuellen Nachrichten aus den USA geradezu prophetisch erscheint, weil sie zeigt, was mit einer Gesellschaft passiert, in der christliche Fundamentalisten das Sagen haben.
Bei den Sons spielt Gott keine Rolle, hier geht es um die Befolgung selbst erstellter Regeln, die nicht unbedingt mit den legalen Rahmenbedingungen konform gehen, dafür aber umso strikter einzuhalten sind. Insofern ist es eigentlich gar nicht schlimm, dass Frauen kein Son werden können. Ist ja auch logisch irgendwie, die Gang heißt schließlich nicht Daughters of Anarchy. Und warum sollte eine Frau bei so etwas mitmachen wollen?! Aber, und das hat mir noch mehr zugesetzt, die Frauen in der Serie machen ja mit. Auch sie leben und sterben für den Club, und dass, obwohl sie eigentlich nichts zu melden haben.
Nicht mal die intelligente und ambitionierte Tara, die als Chirurgin täglich Leben rettet, und jedem der Clubmitglieder intellektuell deutlich überlegen ist, stellt die fragwürdige Ordnung der Sons infrage. Na klar, Jax ist irgendwie süß, aber dass sich eine Frau von Taras Format mit Bitch Fights in der sekundären Clubhierarchie unter den Old Ladys zufrieden geben sollte, leuchtet mir einfach nicht ein. Genau so wenig, wie warum eine Frau die katholische Kirche verteidigen oder sich für eine rechte Partei engagieren sollte. Die Welt der Sons of Anarchy ist ähnlich reaktionär. Und entsprechend gewalttätig.
Insofern verwundert es nicht, das die Geschichte am Ende für so ziemlich alle übel ausgeht, von Staffel zu Staffel werden die Leichenberge höher, der Blutzoll dieser Serie wird höchstens noch von Game of Thrones überboten, nur halt in einer echten Welt. In der allerdings auch aus Ehrgefühl und aus Rache gemordet wird, mehr noch als aus Habgier und zur Vertuschung anderer Verbrechen. Letztlich geht es auch nicht so sehr ums Motoradfahren, was daran liegt, dass der harte Kern der Sons aus alten Männern besteht, die längst schon zu gebrechlich für rasante Fahrten auf heißen Öfen sind. Ein deutsches Bikermagazin erfand passenderweise das Label „Sons of Arthrose“, was optisch leicht mit dem Original-Merchandise-Zeug zur Serie zu verwechseln ist. Und natürlich ein ziemlich guter Witz über diese Serie.
Immerhin hatte Sons of Anarchy eine entfernte Auswirkung auf mein konkretes Alltagsleben. Unter anderem weil Sprit mittlerweile so teuer geworden ist, dass ich nach einer günstigeren Lösung zum Pendeln gesucht habe, erinnerte ich mich an die Idee, Motorradfahren zu lernen. Das wollte ich schon immer mal, aber wie das so ist, wenn man eigentlich keine Zeit und kein Geld für überflüssige Dinge hat, habe ich diese Idee nie ernsthaft verfolgt. Und eigentlich bin ich inzwischen zu alt für den Scheiß. Aber beim Ansehen dieser Serie bekam ich so ein „jetzt erst recht!“-Gefühl und ich habe es, sobald es endlich warm genug für Fahrstunden war, wirklich durchgezogen. Es müssen definitiv mehr Frauen Motorrad fahren…