Fargo: Skandinavian Noir in Minnesota. Nur lustiger.

Minnesota scheint eine extrem skandinavische Gegend in den USA zu sein – auf jeden Fall gibt es dort viel Schnee, endlose weiße Ebenen, durchzogen von Stacheldraht und von Wäldern, aus denen das Wild über die wenig befahrenen Straßen springt – natürlich exakt im falschen Augenblick. Genau so beginnt die neue Netflix-Serie Fargo: Auf einer verschneiten einsamen Straße kommt es zu einen Wildunfall und ein fast nackter Mann entkommt dem Kofferraum des Unfallwagens in die öde, kalte Wildnis, in der er wenig später erfroren aufgefunden wird. Das überfahrene Reh dagegen liegt dagegen wohlbehalten in eben jenem Kofferraum – vom Fahrer des Wagens keine Spur.

Screenshot Fargo: Unendliche Weiten

Screenshot Fargo: Unendliche Weiten

Ich muss leider zugeben, dass ich den Film der Gebrüder Coen, auf dem diese Serie beruht (die übrigens aus Minnesota stammen, was sicherlich kein Zufall ist), noch gar nicht gesehen habe, obwohl ich durchaus Fan der Coens bin: O Brother Where Are You, Ein (un)möglicher Härtefall, Ladykillers, No Country for Old Men oder auch Burn After Reading und Bad Santa sind zwar sehr unterschiedliche Filme, die ich aber alle irgendwie gut fand. Bei True Grit und Inside Llewyn Davis bin ich mir noch nicht so sicher. Die fand ich nicht schlecht, aber die waren aber jeweils nicht so mein Ding. Fargo wird gewiss mein Ding sein, denn die Serie ist super, auch wenn mir noch zwei Teile zum vollständigen Bild fehlen – aber ich muss einfach schon mal meiner Begeisterung Ausdruck verleihen.

Screenshot Fargo: Lorne Malvo (Billy Bob Thornton)

Screenshot Fargo: Lorne Malvo (Billy Bob Thornton)

Auch sonst scheint Minnesota ein skandinavischer Außenposten – die Menschen dort legen die Schlüssel zu ihren Häusern unter die Fußmatte und die Polizisten – und natürlich gibt es auch Polizistinnen – tragen Pelzmützen. Ganz allerliebst übrigens auch Bob Odenkirk als Sheriff Bill Oswalt – die Pelzmütze und der Bart lässt aus dem kriminellen Anwalt von Jesse und Walt aus Breaking Bad einen ganz anderen Typ werden. Eine weitere Hauptperson ist die etwas übergewichtige Polizistin Molly Solverson (Allison Tolmein), die für ihren Job eigentlich viel zu kompetent ist (jedenfalls deutlich kompetenter als ihr Chef Bill). Und dann gibt es natürlich Lester Nygaard, ganz großartig gespielt von Martin Freeman, bekannt als Hobbit und als Dr. Watson aus Sherlock, hier ist er gewissermaßen eine Mischung aus beiden.

Screenshot Fargo: Lester Nygaard (Martin Freeman)

Screenshot Fargo: Lester Nygaard (Martin Freeman)

Lester ist die klassische arme Sau, auf der alle herumhacken: Ein mäßig erfolgreicher Versicherungskaufmann, der zwar sein Traummädchen aus der Schulzeit heirate konnte, aber sonst keinen Stich mehr gemacht hat. Und das lässt ihn seine Frau bei jeder Gelegenheit spüren. Immer mäkelt sie herum, dass sie wohl den falschen Nygaard geheiratet hätte, denn Lesters kleiner Bruder Chazz (Joshua Close) ist viel erfolgreicher als sein großer Bruder. Auch wenn er einen autistischen Sohn hat. Und eine schöne Frau. Und beeindruckende illegale Waffensammlung in der Garage.

Screenshot Fargo: Folgenreiche Begegnung...

Screenshot Fargo: Folgenreiche Begegnung…

Es geht – und auch das ist skandinavisch – hauptsächlich um Familie. Da ist zum Beispiel der Vater von Molly, der ehemalige Polizist Lou Solverson (Keith Carradine, Dexter-Fans als Frank Lundy ein Begriff) der jetzt ein Restaurant in Bemidji, Minnesota, betreibt. Und gern Eisangeln geht (weiß man ebenfalls aus Dexter). Dann gibt es im Nachbarbezirk Duluth den Polizisten Gus Grimly (Colin Hanks – kennt man ebenfalls aus Dexter, Travis Marshall, der Doomsday Killer aus Staffel 6), der eigentlich viel lieber Postbote geworden wäre, aber als alleinerziehender Vater einer Teenie-Tochter (Joey King als Greta Grimly) keine andere Wahl hatte, als zur Polizei zu gehen.

Screenshot Fargo: Sheriff Bill Oswalt (Bob Odenkirk)

Screenshot Fargo: Sheriff Bill Oswalt (Bob Odenkirk)

Dann gibt es natürlich auch noch den geheimnisvollen Killer Lorne Malvo (cool und souverän: Billy Bob Thornton, nominiert für den Emmy für die schlimmste Frisur, aber davon verdienen die Coen-Hauptfiguren ja einige). Und dann gibt es natürlich auch noch den örtlichen Supermarkt-König Stavros Milos samt seiner Familie – und natürlich auch noch die örtlichen Gewalt-Prolls, nämlich die Familie Hess. Sam Hess ist ein alter Schulfeind von Lester, der eine Stripperin aus Las Vegas geheiratet und zwei wirklich strohdoofe Söhne hat. An Sam Hess entzündet sich ein interessanter Konflikt, der letztlich zu Lesters bemerkenswerter Metamorphose führen wird – aber im Gegensatz zu meiner Kritik von The Killing 4 will ich die Spoileritis bei Fargo nicht zu weit treiben – seht euch das einfach selbst an! Derzeit kann man Netflix das Angebot ja gratis testen und nein, ich bekomme keine Geld dafür, aber man kann sich ja nach dem kostenlosen Probemonat einfach wieder abmelden, wenns einem nicht gefällt.

Screenshot Fargo: Molly Solverson (Alison Tolmein)

Screenshot Fargo: Molly Solverson (Alison Tolmein)

Bei The Killing 4 hätte man ja auch die drei vorhergehenden Staffeln gesehen haben müssen, um wütend auf mich zu sein, dass ich schon so viel über die vierte Staffel und deren Ende verrate. Da ist die Zielgruppe aber vermutlich sehr übersichtlich – auch wenn ich hiermit sowohl das Original als auch das Remake wärmstens empfehle. Aber vor allem empfehle ich Fargo – mich erinnert die Geschichte auch ein wenig an den Klassiker Warum läuft Herr R. Amok? von Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder. Allerdings endet der Amoklauf des braven Bürgers R. am Ende auch für ihn selbst tödlich, während es für Lester tatsächlich ein Befr… verdammt, ich verrate schon wieder zu viel!

Screenshot Fargo: Lester und seine Frau.

Screenshot Fargo: Lester und seine Frau.

Ich sag nur: Super Serie. Gute Geschichte, tolle Charaktere, fantastische Schauspieler, interessante Orte, liebevolle Ausstattung und eine ansprechende Mischung aus Drama, Spannung und Humor – der Emmy für die beste Mini-Serie geht definitiv in Ordnung! Aber es ist schon ein bisschen wie „Dexter trifft Skandinavian Noir“ – definitiv auf die gute Weise. Die Coens sind an Bord. Und Netfllix. Diese Schnittmenge ist bislang noch extrem selten. Aber total gut. Ich hoffe auf mehr davon!

Screenshot Fargo

Screenshot Fargo